Kai Weyand – Applaus für Bronikowski

 

Zu den Kuriositäten in meinem Leben zählt, dass ich mal für ein paar Jahre leitender Redakteur einer Fachzeitschrift für das Bestattungsgewerbe war. Das ist noch gar nicht so lange her, und ich habe die Branche dabei sehr gut kennengelernt. Entgegen der landläufigen Meinung ist das Geschäft mit der Bestattung gar nicht so ‚bäh’, eklig und morbide, wie man sich das zunächst vorstellt. Letztlich ist das auch nur ein ganz normaler Berufsstand, dessen goldene Zeiten aber längst vorbei sind. Eigentlich sollte man meinen, der Job ist krisensicher wie kein zweiter. Denn gestorben wird doch immer. Aber Discount-Bestatter, Billig-Särge aus Osteuropa, der Trend zu Feuerbestattungen und der generelle Verfall der Bestattungskultur machen der Branche derzeit schwer zu schaffen.

Mit besonderem Interesse habe ich mich daher an die Lektüre von Kai Weyands „Applaus für Bronikowski“ begeben. Denn die Handlung dieses völlig überraschend auf die Longlist für den Deutschen Buchpreis gewählten Romans spielt zu weiten Teilen in einem Bestattungsinstitut. Und natürlich habe ich ganz genau hingeschaut, ob da die gängigen Klischees bedient werden oder ein sachliches und authentisches Bild von der Arbeit des Bestatters gezeichnet wird. Soviel sei schon mal vermerkt: die Bestattungsbranche kommt gut weg. Der Berufsstand wird am Beispiel des fiktiven Bestattungsintstitutes Wege so dargestellt, wie ich ihn auch kennengelernt habe – solide, bodenständig, verantwortungsbewusst und unspektakulär.

Dass Kai Weyand nicht der Verlockung erliegt, das Geschäft mit dem Tod für seine Zwecke auszuschlachten, rechne ich ihm schon mal hoch an. Denn wie einfach wäre es gewesen, mit einem paar Übertreibungen und Ausschmückungen für einen auflagensteigernden, schaurig-schönen Gänsehaut-Effekt beim Leser zu sorgen. Nicht erst seit Simon Beckett weiß man ja, dass morbide Themen immer gehen.

Nein, das tut Weyand nicht und erzählt stattdessen die Geschichte seines Romanhelden Nies. Weyands Protagonist erlebt im Alter von 13 Jahren ein Trauma, als sich seine Eltern einen Lebenstraum erfüllen und nach Kanada auswandern. Er bleibt mit seinem älteren Bruder allein in Deutschland zurück und immigriert stattdessen innerlich. Er verweigert sich, erfüllt nicht die Erwartungen, geht in Opposition zum Bruder und den abwesenden Eltern und nennt sich fortan NC – No Canada. So wird er irgendwie erwachsen, aber es wird nicht besser. Im Gegensatz zu seinem Bruder, der im Londoner-Finanzsektor Karriere macht, schleppt sich NC von Aushilfsjob zu Aushilfsjob und kommt nicht richtig ins Leben. Bis er irgendwann vor dem Bestattungsinstitut Wege steht und dort als Bestattungshelfer anfängt.

Dass ich mich für diesen Roman nicht so richtig begeistern kann, liegt hauptsächlich daran, dass ich mit diesem NC nicht warm geworden bin. In meinen Augen ist der Protagonist dem Autor nicht so richtig authentisch gelungen. Weyand konnte sich nicht entscheiden, ob NC jetzt cool und entspannt oder schräg und verhaltensauffällig sein soll. In diesem Roman ist er beides, und das habe ich als störend empfunden. Besonders auffällig ist das in dem Abschnitt mit der alternativen Seebestattung, wo NC in meinen Augen auf einmal vollkommen aus der Rolle fiel. Von da an hat mich Weyand verloren.

Und so kann ich leider nur sagen, dass dieser Roman ganz nett zu lesen ist, unterhaltsam daherkommt, die Situation im Bestattungsgewerbe ehrlich und nicht sensationsheischend darstellt und dem Leser hier und da ein paar Schmunzler entlockt. Viel mehr ist da aber nicht, und ich verstehe ehrlich gesagt nicht, was dieses Buch auf der Longlist des Buchpreises zu suchen hat.

* NB = No Buchpreis

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Titelfoto. Gabriele Luger

Verlag: Wallstein
188 Seiten, 19,99 €
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Drei andere Buchpreisblogger haben sich auch zu diesem Buch geäußert: masuko13Sätze & Schätze und Klappentexterin

4 Kommentare

  1. Aber die Typen die er da beschreibt, die zwergenhafte Schwester, die Bäckereiverkäuferin, der arme kleine Junge, die sind doch sehr stark in ihrer Außenseiterposition und irgendwie auch sehr poetisch, ich habs ja schon geschrieben, die Komik ist mir auch auf die Nerven gefallen und ein so leichtes lustiges Buch, wie ich schon gelesen habe, ist es, glaube ich, nicht, sondern eine sehr poetisch realististische Schilderung, die manchmal leider über die Stränge schlägt, ich war zwar noch nie in einem Bestattungsinstitut, denke aber, daß das schon sehr realistisch geschildert ist und dann die Stelle mit der Traumatisierung, das ist, fürchte ich, Realtiät pur, erlebt im Strafvollzug und dann noch sehr poetisch erzählt, ich habs bis jetzt auf Nummer eins auf meine Liste getan, in die Shortlist wird es zwar wahrscheinlich nicht kommen, aber vielleicht gewinnt es diesen Hotlistenpreis https://literaturgefluester.wordpress.com/2015/08/28/applaus-fuer-bronikowski/

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    1. Das mit der hier oftmals unpassend platzierten Komik liegt wahrscheinlich an der „Open Mike“ Vergangenheit des Autors. Wie auch bei einem Poetry Slam muss bei solchen Auftritten einfach alle paar Minuten ein kleiner Schenkelklopfer oder Schmunzler drin sein. Wenn man das eine Zeit lang macht, hat man das wahrscheinlich so verinnerlicht, dass man auch bei einem Roman gar nicht mehr anders kann, als alle paar Seiten einen kleinen Joke einzubauen.

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