Stephan Thome – Gegenspiel.
Wenn mich einer nach dem Plot von Stephan Thomes neuem Roman ‚Gegenspiel’ fragen würde, dann hätte ich ein Problem. Ja, wovon handelt die Geschichte von Hartmut und Maria eigentlich? Ist es überhaupt eine Geschichte, die man klassischerweise in einer kurzen Inhaltsangabe zusammenfassen kann? Oder ist es nicht vielmehr das, was wir gemeinhin ein ganz normales Leben nennen? Eine Geschichte, die wir alle in irgendeiner Form erzählen könnten. Vom Erwachsenwerden, den wilden Lehr- und Studentenjahren, der Zeit der Familiengründung, der Ernüchterung, der Midlife-Crisis. Bis hin zur Resignation, Hoffnung und Gleichgültigkeit angesichts der wenigen Zeit, die einem auf einmal nur noch bleibt.
Ja, so sehen viele Lebensverläufe aus und so könnte man auch die Geschichte von Hartmut und Maria zusammenfassen. Die Geschichte einer Ehe, die in Stephan Thomes 2012 erschienen Roman ‚Fliehkräfte’ aus Sicht des Mannes und jetzt in ‚Gegenspiel’ aus der Sicht der Frau erzählt wird. Und wie jede durchschnittliche Ehe ist auch die von Maria und Hartmut eine Geschichte voller Höhen und Tiefen. Jeder kommt mit seiner Vorgeschichte, es passt irgendwie, man bleibt zusammen, hat ein paar glückliche Jahre, bevor es nach und nach immer komplizierter wird.
Viele werden sich fragen, ob man ‚Gegenspiel’ lesen kann, ohne ‚Fliehkräfte’ zu kennen. Ich habe das getan und festgestellt, dass es geht. Jetzt frage ich mich aber allen Ernstes, ob mir ‚Gegenspiel’ so gut gefallen hätte, wenn ich vorher schon Fliehkräfte gelesen hätte? Denn die Geschichte von Harald und Maria ist im eigentlichen Sinne nicht spannend und wird auch nicht spannender, wenn man sie ein zweites Mal erzählt bekommt. Und dann denke ich wieder, dass nur schlechte Autoren eine spannende Geschichte brauchen. Thome ist so gut, er braucht nur seine Romanfiguren, die er seinen Lesern liebevoll eingeführt und schlüssig aufgebaut ans Herz legt.
Und weil Thome gut ist, habe ich diesen Roman auch so genossen. Ich habe viele Parallelen zu meinem Leben entdeckt und konnte mich wunderbar identifizieren. Die Romanheldin Maria ist mein Jahrgang, hat wie ich in den Achtzigern in West-Berlin studiert und erlebt gerade, wie ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Der Nachwuchs ist aus dem Haus und es stellt sich die Frage, ob man die letzten Jahre vor der Rente einfach so weitermacht wie bisher. Oder noch einmal die alten Träume herauskramt und sich an ihnen abarbeitet. Um am Ende des Romans wie Harald ernüchtert festzustellen: „…unser Leben ist die Parodie unserer Träume“.
Das klingt jetzt beinahe kitschig nach „carpe diem“ und „lebe deinen Traum“. Aber Thome findet auch hier die richtige Balance. Taucht uns Leser kurz mal unter und holt uns, bevor es unangenehm wird, schnell wieder aus dem Tal der Tränen. Generell gleitet man leicht durch die 450 Seiten. Beim Lesen habe ich mich wohlig ins Berlin der Achtziger zurückversetzt gefühlt. Das typische Studentenleben zwischen Dahlem und Kreuzberg wird sehr schön und authentisch beschrieben. Auch dem jetzigen, neuen Berlin, in das Maria nach der Familienphase zurückkehrt, wird Thome atmosphärisch gerecht. Ich sehe die Plätze, ich spüre die Stimmung in den Straßen und Cafés, ich merke: es passt. Passen tun auch die vielen netten Bonmots, auf die ich beim Lesen immer wieder gestoßen bin und mit einem zustimmenden Nicken unterstrichen habe. Wie zum Beispiel das hier:
„Als junge Frau hast du Bücher gelesen und dir einreden lassen, du müsstest etwas Besonderes aus Deinem Leben machen. Erstens musst Du das nicht, und zweitens kannst Du es nicht, weil man dafür ein Talent braucht.“
Ja, das stimmt. Und es bedarf auch keiner besonderen Geschichte, um einen großen Roman zu schreiben. Alles was man braucht ist Talent.
Titelfoto: Gabriele Luger
Danke, lese ich erst später. Bin noch mitten drin.
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Der steht auch schon auf meiner Liste. Schöne Rezension jedenfalls! Hast du vor, das Gegenstück bald auch zu lesen?
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Ja, Fliehkräfte hab ich mir schon „gemedimopst“!
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Dann bin ich gespannt, wie die beiden Romane für dich im Zusammenspiel funktionieren; die Besprechung in der SZ hat mich jedenfalls davon überzeugt, wenn, dann beide Bücher zu lesen.
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Ich habe das Buch gerade ausgelesen und sitze selbst an meiner Besprechung – wenn ich damit fertig bin, werde ich mir deine noch einmal in Ruhe durchlesen. „Fliehkräfte“ habe ich übrigens vor eineinhalb Jahren gerne gelesen, großartige Erinnerungen hatte ich aber leider nicht mehr daran. Ich glaube, dass die Idee von Stephan Thome wahrscheinlich dann am besten funktioniert, wenn man beide Bücher kurz nacheinander liest.
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Ich habe beide Bücher gelesen und beide direkt nach Erscheinen, das heißt, es war ziemlich viel Zeit dazwischen und habe ich mich an Einzelheiten des ersten Romans kaum noch erinnert, als ich den zweiten gelesen habe. Ich glaube, es funktioniert zusammen, alleine, direkt nacheinander oder nach längerer Zeit… Kennst Du Grenzgang? Ich glaube, so sehr ich die beiden Romane um Hartmut und Maria mag, Grenzgang ist mein heimlicher Favorit von Thome… Einen schönen Blog hast Du, wollte ich noch hinzufügen, obwohl nicht ganz an diese Stelle gehörend. 🙂
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Nein, Grenzgang kenne ich noch nicht. Habe hier noch Fliehkräfte liegen. Und da will ich auf alle Fälle in nächster Zeit auch noch reinlesen.
Und Danke für das Lob – ich finde es passt gut an diese Stelle. Wenn ich ehrlich bin, passt es eigentlich immer und überall, meinetwegen unter jeden Beitrag. 🙂
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