In genau zwei Monaten ist es soweit. Der/die elfte Gewinner/in des deutschen Buchpreises wird am 12. Oktober in Frankfurt verkündet. Dann beginnt das Blitzlichtgewitter, stehen die Medien Schlange, jagt ein Termin den nächsten. Uns Buchpreisblogger hat interessiert, wie die bisherigen Preisträger/innen diese Zeit empfunden haben und was sich seither in ihrem Leben geändert hat. Ich habe die Chance gehabt, der Berliner Autorin Julia Franck, die im Jahr 2007 mit dem Roman „Die Mittagsfrau“ den Deutschen Buchpreis gewonnen hat, ein paar Fragen zu stellen. Ihre schonungslos ehrlichen Antworten haben mich stark beeindruckt.
Buchrevier: Frau Franck, was hat sich durch den Gewinn des Buchpreises im Jahr 2007 in Ihrem Leben geändert? Kurz-, mittel- und langfristig betrachtet.
Julia Franck: Kurzfristig hatte ich wahnsinnig wenig Zeit, mehrere Monate fühlte ich mich wirklich gehetzt und zerrissen, weil ich zwar viele Einladungen ablehnen musste, zugleich aber ungeheuer viel unterwegs und zugleich viel zu wenig bei meinen damals noch kleinen Kindern war. Das war ein schwieriger Spagat. Ohne Partner/Mann hat man ja auch niemanden, der einen manchmal begleitet oder einem den Rücken freihält. So fühlte ich mich unter enormem Druck und hatte ständig das Gefühl, niemandes Erwartungen gerecht zu werden, auch den eigenen nicht. Eigentlich eine paradoxe Situation für einen Erfolg, nicht? Zwar befand ich mich ständig unter vielen fremden Menschen, war dabei aber sehr allein. Man reist ja nicht im Ensemble. Jeder Handelsreisende und Geschäftsmann kennt das Grauen zahlloser Hotelzimmer, Bahnhöfe, Flughäfen. Mittel- und langfristig hat mir dieser Preis sehr viele Leser und damit für einige Jahre eine ökonomische Sicherheit beschert, wie sie wohl nur äußerst selten mit dem Schreiben erreichbar ist. Auch eine große Freiheit entstand, da ich nur das Neinsagen lernen musste und den Luxus des Rückzugs erfahren durfte. Als Selbstständiger zahlt man in Deutschland ja schnell hohe Steuern, da lernte ich mir die Frage stellen: Wenn ich jetzt die Hälfte des Honorars für die Steuern abziehe, die Kosten für das Kindermädchen, das über Nacht und manchmal mehrere Tage und Nächte am Stück bei meinen Kindern bleibt, das Vermissen, die langen Reisewege, die Abwesenheit vom Schreibtisch – steht das, was da von so einer Lesung an Geld übrig bleibt im Verhältnis dazu, dass nicht ich meine Kinder abends ins Bett bringen und morgens mit ihnen aufstehen kann? Durch den Buchpreis bin ich bewusster alleinstehende und alleinernährende Mutter geworden. Im Laufe der Jahre habe ich mich gegen viele schöne Einladungen in Deutschland und reizvolle in anderen Ländern entschieden, gegen das Mehren von Ehre und Ruhm vor einer Öffentlichkeit, ein ständig volles Konto, ein eigenes Haus oder ein eigenes Auto und zugunsten des schlichten und innerlich beglückenden Zusammenseins mit meinen Nächsten, Kindern und Freunden, für Konzerte, Ausstellungen, Studieren, Lesen und Schreiben entschieden.
Buchrevier: Dem Buchpreis wird oft vorgeworfen, ein Marketingpreis und kein Literaturpreis zu sein. Wie sehen Sie das?
Julia Franck: Ach, was sind denn Literaturpreise? Die französischen und britischen Literaturpreise sind von jeher auch marktwirksam, was einfach an ihrer Vernetzung liegt. Das waren andere deutsche Literaturpreise nie. Es kann ja nicht falsch sein, wenn Preise auch öffentlichkeitswirksam und nicht nur die Literatur im inzestuösen Dickicht der Feuilletons feiern. Klar ist aber, dass ich nach dem Buchpreis nie wieder einen Literaturpreis in Deutschland erhalten habe. Ich glaube schon, dass die Verbindung von Buchpreis und dem gigantischen Verkaufserfolg wie auch die fast vierzig Lizenzen in andere Sprachen, Theater und Filmrechtverkäufe viele Preisrichter misstrauisch und missgünstig gestimmt hat. Wobei meine Literatur (ich nenn sie einfach mal so) schon immer heftig umstritten war.
Buchrevier: Meinen Sie, dass Sie auch ohne den Gewinn des Buchpreises da wären, wo Sie heute beruflich stehen?
Julia Franck: Sicherlich nicht. Ich vermute, dass ich ohne den Buchpreis weder so viel Öffentlichkeit erhalten und einen so riesigen Verkaufserfolg eines Buches erzielt hätte, noch in der Weise Ächtung erfahren hätte. Vermutlich würde ich noch heute – wie auch bei den vier Büchern zuvor – als ein „hoffnungsvolles junges Talent“ gelten, das jedes Jahr ein hübsches Stipendium oder ein, zwei kleine echte Literaturpreise erhalten würde.
Buchrevier: Ralf Rothmann hat in diesem Jahr verzichtet, von seinem Verlag für den Buchpreis nominiert zu werden. Können Sie das nachvollziehen?
Julia Franck: Natürlich. Auch Handke hat schon auf Preise verzichtet. Ralf Rothmann ist ein guter Schriftsteller, dessen Bücher auch ohne den Buchpreis erfolgreich sind. Die Berührungsangst mit einem so vulgär anmutenden Preis verstehe ich heute unbedingt. Hätte ich 2007 ahnen können, was dieser Preis an Aura leidenschaftlich aufbläst und zerstört, hätte ich ihn vielleicht auch gemieden. Wir sind ja keine Filmteams, wir haben keine Hauptdarsteller und Cutter und Produzenten, mit denen wir uns auf dem Roten Teppich an den Händen fassen und uns gegenseitig die Schulter küssen können. Der Schriftsteller steht da völlig allein – er kann den Erfolg wie die Niederlage, das ganze Schlaglicht mit niemandem teilen. The winner is – dazu die sechs entsetzten und überraschten Gesichter. Der ganze Glamour steht uns schlecht, er lässt uns falsch aussehen und jedes Wort falsch klingen.
Buchrevier: Bringt der Buchpreis Aufmerksamkeit für die deutsche Literaturszene insgesamt oder nur für den kleinen Kreis der zwanzig nominierten Autoren.
Julia Franck: Das kann ich nicht einschätzen. Ich glaube, die Vielseitigkeit der deutschsprachigen Literatur ist ein sehr besonderes kulturelles Phänomen. Kein Schriftsteller schreibt wegen eines Preises – und so kann ich mir nicht vorstellen, dass ein einzelner Preis mehr oder weniger Aufmerksamkeit auf die deutsche Literatur lenkt. Wie Sie vermutlich wissen, wird nur sehr wenig deutsche Literatur übersetzt – was vermutlich mehr mit der Deutschen Geschichte und dem entsprechend verändertem Ansehen und Interesse für deutsche Kultur und deutsches Denken, deutsches Erzählen seither in den meisten anderen Ländern als mit der Sprache oder der Qualität der Romane zu tun hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass seit dem Buchpreis mehr deutsche Literatur übersetzt wird. Vielleicht eher nach der Fußballweltmeisterschaft.
Buchrevier: In acht Jahren nach dem großen Erfolg der Mittagsfrau haben Sie nur noch einen weiteren Roman (Rücken an Rücken 2011) veröffentlicht. Haben Sie nach dem wirtschaftlichen Erfolg der Mittagsfrau einen Gang runtergeschaltet – bzw. negativ ausgedrückt: keinen Veröffentlichungsdruck mehr?
Julia Franck: Wie ich schon sagte, ich schätze auch andere Dinge im Leben sehr, unter anderem habe ich Rebecca Solnit übersetzt, für Künstler Texte geschrieben, und vor allem 2012 und 13 Medizin studiert und mir damit einen Traum ermöglicht, der meiner rasenden wissenschaftlichen, besonders medizinischen Neugier entspricht. Sehr zeitintensiv, sehr kostbar und teuer – wenn man es ohne Bafög, Partner, Eltern etc. macht, und nebenbei drei Menschen ernährt. Schreiben ist ja eine innere Notwendigkeit, eine Zwangskrankheit. Zumindest bei mir. Das kollidiert mit allen anderen Beschäftigungen im Leben. Veröffentlichen aber gehört nicht dazu – man muss mit diesem inneren Zwang nicht an die Öffentlichkeit. Es kann sogar sehr peinlich und unangenehm sein. Aber es ist keineswegs so, dass ich in den letzten Jahren noch von den Tantiemen dieses einen so erfolgreichen Buches leben könnte, auch ein anderer Beruf lässt sich nicht ohne weiteres herbeizaubern – also besteht schon ein gewisser Druck. Zugegeben ist die Scheu, vielleicht sogar Angst vor der Öffentlichkeit durch den Buchpreis enorm gewachsen. Sie war ganz zu Beginn meiner Veröffentlichungen Ende der 90er Jahre auch enorm stark. Ich habe jahrelang schweißkalte Hände und Herzrasen vor jeder Lesung gehabt. Erst als ich Kinder hatte, wurde das besser, aber dann kam der Buchpreis. Es könnte also sein, ich veröffentliche, aber nicht unter meinem Namen?
Buchrevier: Wann erscheint der nächste Roman von Ihnen?
Julia Franck: Das kann ich nicht sagen.
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Foto: Das offizielle Siegerfoto aus dem Jahr 2007. Copyright: Claus Setzer / Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V.
Link-Tipp: Ein schöner Streifzug durch Julia Francks Leben in Berlin auf Literaturport.de
Das nächste Buchpreisblogger-Interview erscheint am Freitag 14.08. 2015 auf dem Blog Buzzaldrins Bücher: Mara Giese im Gespräch mit der Preisträgerin 2013 Terézia Mora.
Das Spannende an diesem Interview ist, glaube ich, die Ehrlichkeit mit der da einige Aspekte beleuchtet werden, über die man sonst nicht viel nachdenkt, so bin ich jetzt sehr neugierig, was die anderen Preisträger sagen werden.
Beeindruckend fand ich, wie negativ der Preis empfunden wurde, aber natürlich da steht man auf dem roten Teppich, ist wahrscheinlich überfordert, muß dann noch sehr viel Steuer und das Kindermädchen zahlen und kommt vielleicht auch nicht mehr zum Schreiben, in den Schreibblockade, etc.
So gesehen interessiert mich jetzt sehr, was Kathrin Schmidt sagen wird, die ja meiner Meinung nach von dem Preis sehr überrascht wurde, weil sie, wie ich eigentlich auch, denke ich, glaubte, Herta Müller würde ihn bekommen.
Was ich nicht ganz nachvollziehen kann, ist die Tatsache, wieso man keinen Literaturpreis mehr bekommt, wenn man den dBp gewinnt?
Arno Geiger hat, glaube ich, schon gewonnen, zumindest habe ich ein Büchlein mit seinen Preisreden zu Hause und was ich auch nicht ganz verstehe, beziehungsweise erst jetzt darüber nachdenke, ist diese Unterscheidung zwischen Literatur und Marketingpreis?
Natürlich ist der dBp ein Marketingpreis, aber was ist schlecht daran, die Leute zum Lesen zu bringen?
Und weil ja immer wieder auch Büchner- und sogar Nobelpreisträger auf dieser Liste stehen, ist es ja, denke ich, schon ein Literaturpreis.
Spannend, spannend, diese Interviews und wahrscheinlich eine gute Idee, denn wie es den Leuten geht, die da plötzlich so hinaufgeworfen werden, ist ja eine sehr psychologische Frage mit der sich aber wahrscheinlich auch Literaturwissenschaftler und Kritiker beschäftigen sollten!
Und eine Frage hätte ich jetzt noch, kann Arno Geiger jetzt noch mal nominiert werden oder ist das ausgeschlossen, wenn man schon einmal gewonnen hat?
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Buchpreis – und dann? Eine herrlicher Aufhänger für eine Interview-Reihe mit Buchpreisträgern! Ich traue ja auch diesen Filmen nicht über den Weg, die nach 70 Minuten, in denen „Kriegt sie ihn, oder kriegt sie ihn nicht?“ gespielt wird, mit Filmkuss und strahlenden Gesichtern der glücklich Vereinten enden. Solcherlei Stories spinne ich zwanghaft in Gedanken fort, bis zu diesem Punkt im siebten Ehejahr, wo die Teller, weil sie nicht in die Spülmaschine geräumt wurden, gleich durch die Luft fliegen. Und trotzdem staune ich hier über Sätze wie: „Die Berührungsangst mit einem so vulgär anmutenden Preis verstehe ich heute unbedingt. Hätte ich 2007 ahnen können, was dieser Preis an Aura leidenschaftlich aufbläst und zerstört, hätte ich ihn vielleicht auch gemieden.“ Auch schön: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass seit dem Buchpreis mehr deutsche Literatur übersetzt wird. Vielleicht eher nach der Fußballweltmeisterschaft.“ (Auf das Statement bin ich jetzt doch ein wenig neidisch – verdammt, das hätte mir einfallen müssen.)
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Ja, die Ehrlichkeit von Julia Francks Antworten hat mich auch verblüfft. Wie sie das beschreibt, die Einladungen zu den Lesungen, die 50% Abzug fürs Finanzamt, die Kosten und der Umstand mit dem Babysitter – nur um in irgendeiner Stadt einsam in irgendeiner Stadtbibliothek vor ein paar Studienräten ein paar Seiten vorzulesen, um dann abends allein im Hotelzimmer zu sitzen – absolut ehrlich und nachvollziehbar.
Ob man als Gewinner noch einmal nominiert werden kann, weiß ich nicht. Auf der Longlist sind einige Autoren jedenfalls schon mehrmals vertreten gewesen.
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