Richard Lorenz – Amerika Plakate

 

Wie jeder Mensch lebe und lese ich in meiner Filterblase. Eins ergibt sich aus dem Anderen. Ich habe ein bevorzugtes Genre und orientiere mich an mir bekannten Autoren und Verlagen. Dann kommt hier noch ein Verweis und da noch eine Empfehlung dazu und fertig ist mein ganz persönlicher Lesekanon.

Manchmal allerdings kommen Bücher auf ganz ungewöhnlichen Wegen zu mir. Kein Algorithmus hätte je voraussehen können, dass ich mal „Amerika Plakate“ von Richard Lorenz lesen würde. Weder Autor, Verlag, noch Genre waren mir bekannt. Ich könnte das Genre noch nicht einmal benennen. Was ist das? Ich würde es Surrealismus nennen. Aber wahrscheinlich nennt es sich eher fantastische Literatur oder auch Mystery-Thriller. Jedenfalls überschreitet der Autor in diesem Roman gerne mal die Grenzen der Vorstellungskraft und vermengt Tag und Nacht, Heute und Morgen, Traum und Wirklichkeit. Da werden Geschichten in Flaschen gesprochen, Glühbirnen und Postkarten blau angemalt. Da geistern Gaukler, der leibhaftige Teufel, Tote und Halbtote, Bob Dylan und Paul Auster durch die Handlung.

Es ist nicht so, dass ich derart surreale oder fantastische Konstrukte komplett ablehne. Allerdings sollte es der Autor nicht übertreiben. In kleinen bekömmlichen Dosen darf gerne mal ein Schafmann auftauchen oder auch eine Puppe aus Luft. Aber gäbe es eine zehn Punkte umfassende Mystery-Skala, dürfte eine Zwei bei mir nicht überschritten werden. Alles, was darüber hinaus geht, ist für mich Märchenstunde.

Und damit ist klar, dass der Roman Amerika Plakate, dem ich gut und gerne sieben von zehn Mystery-Punkten geben würde, kein Buch für mich ist. Ich kann mich nicht so fallen lassen, kann den Verstand nicht ausschalten und Dinge nicht einfach mal so hinnehmen. Wenn der Bogen überspannt wird und mir das alles zu phantasievoll wird, komme ich mir beim Lesen regelrecht albern vor, fange an, mich fremdzuschämen.

Das ist mein ganz persönliches Lesehandicap, weswegen ich mir auch kein Urteil über die Handlung dieses Romans erlaube. Sie sei aber doch kurz erzählt: Es beginnt in den Siebzigern, irgendwo in einer kleinen Stadt. Der elfjährige Leibrand versteckt sich vor seinem prügelnden Vater im Schrank. Dort malt und schreibt er sich in eine Parallelwelt. Das imaginäre Brooklyn/New York, von dem er zahlreiche Postkarten und (Amerika-) Plakate malt und im Ort verteilt, avanciert in der Folge des Romans zu einem Sehnsuchtsort, in dem allerlei mysteriöses Zeug passiert. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht erfahren genug in Mystery-Plots bin, aber ich konnte der komplizierten und verschachtelten Handlung nicht immer folgen. Neben den drei, vier Hauptfiguren tauchen immer wieder neue schräge Vögel auf, die ich nicht richtig einordnen konnte. Aber irgendwann war mir das dann auch egal, weil ich das Buch sowieso für mich abgehakt hatte.

Das soll nicht heißen, dass Amerika Plakate nicht gut ist. Ich kann dieses Genre zwar nur schwer bewerten, aber eines kann ich sagen: Dieser Roman ist verdammt gut geschrieben. Richard Lorenz bewegt sich sprachlich auf einem beeindruckend hohen Niveau. Er erzeugt mit seinen Sätzen ein dichtes Stimmungsbild und eine bedrückend düstere Atmosphäre, die selbst mich – den Mystery-Verweigerer – in ihren Bann gezogen hat. Ein paar Passagen haben mich so beeindruckt, dass ich sie mir herausgeschrieben habe.

Den folgenden Absatz zum Beispiel, dessen Sätze mich sehr ansprechen und bewegen, dessen Sinn ich aber auch nach mehrmaligem Lesen nicht verstehe. Irgendwie habe ich da einen Knoten im Hirn.

„Es ist die Vergebung, die man sucht, und mit der Vergebung die Erlösung. Die Schatten bewegen sich mit jedem Schritt, und je länger die Tage des Lebens werden, desto länger werden die Schatten und die Träume darüber. Wir können nur einmal leben, und gerade diese Gewissheit erfüllt uns mit der Schuld, die wir zu tragen haben. Sie erwischt uns in schlaflosen Nächten, und wenn sie kommt, ist man nicht sonderlich überrascht.“

Und genauso wie dieser Absatz mir gefällt, ich aber eigentlich nichts mit ihm anfangen kann, so geht es mir mit dem ganzen Buch. Gute Literatur, ja. Aber nichts für mich. Und damit gebe ich mich mich wieder den bewährten Algorithmen hin und tauche ein in meine Filterblase.

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Titelfoto: Gabriele Luger

Verlag: edel & electric
eBook, 280 Seiten, 7,99 €

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