Thomas Glavinic – Das bin doch ich

Ab und zu – wirklich nicht häufig – aber manchmal kommt es vor, dass ich überhaupt keine Idee habe, welches Buch ich als nächstes lesen soll. Dann stehe ich vor meinem Bücherregal, schaue durch die Reihen, ziehe hier und da mal ein Buch heraus, blättere rein, lese den Klappentext und stelle es lustlos wieder zurück. Ein ganzes Regal mit nichts zum Lesen.

Ich hole mir ein Bier aus dem Kühlschrank und gehe in den Garten. Auf meiner Bank sitzend starre ich ins Grün. Von wem wollte ich denn neulich noch was lesen? Nicht Witzel, auch nicht Setz. Da war doch noch einer, so ein Machotyp, nicht der Stanisic, aber so ähnlich, zumindest vom Namen her. Glavinic! Genau, so hieß er. Thomas Glavinic, Österreicher, hat gerade einen neuen Roman bei Fischer veröffentlich. 700 Seiten, soll gut sein. Könnte ich mir bestellen, aber ich müsste doch auch noch was Älteres von ihm irgendwo im Regal stehen haben. Für 2,99 € mal bei Medimops geschossen – da ist es ja: „Das bin doch ich“, 2007 bei Hanser erschienen; für meine Verhältnisse mal ein richtig alter Schinken. Das könnte ich doch glatt für die Golden Backlist-Challenge nehmen, bei der man mal wieder Bücher lesen soll, die älter als fünf Jahre sind. Mal sehen, was der Klappentext sagt. “ … ein Roman über einen Besessenen, der nur ein einziges Opfer kennt: sich selbst. Und der dieses Opfer mit gnadenloser Komik zur Stecke bringt“. Und dann steht da noch was von Alkohol, Hodenkrebs und einer Literaturagentin. Ok, klingt nicht schlecht und hat nur 230 Seiten – kann man ja mal reinlesen. Hab’s gedacht, und schon war ich drin.

Ich bin ja ein großer Fan der Serie Pastewka, in der Bastian Pastewka sich und sein Leben als Comedian im Privatfernsehbetrieb dokumentiert. So ähnlich muss man sich auch diesen Roman vorstellen. Nur ist die Hauptfigur kein Comedian, sondern Schriftsteller. Die Handlung spielt nicht im TV- und Unterhaltungsbusiness, sondern im Literaturbetrieb und der Protagonist heißt nicht Pastewka, sondern Glavinic. Und wie der Comedian Pastewka stellt sich auch Glavinic als Person schonungslos offen zur Schau. Mit allen Ängsten, Phobien, Schwächen, Zweifeln und Entgleisungen, die das Leben eines hoffnungsvollen Jungautoren, der immer noch auf den ganz großen Erfolg wartet, so mit sich bringt. Und dazu noch mit jeder Menge Humor und Selbstironie.

Glavinic ist ein Macho, wie er im Buche steht. Er wohnt zwar mit Frau und Kind zusammen, lebt aber trotzdem das Leben eines Singles; kommt und geht, wann immer es ihm gefällt und interessiert sich eigentlich nur für einen einzigen Menschen auf der Welt: sich selbst. Sein Erfolg als Autor, seine Rolle im Literaturbetrieb, seine kleinen Wehwehchen. Darum geht es in diesem Buch. Als Autor macht Glavinic gerade eine schwere Zeit durch. Für seinen neuen Roman gibt es noch keinen Verlag, eine Literaturagentin ist da dran, meldet sich aber nicht. Sein Freund Daniel Kehlmann hat gerade „Die Vermessung der Welt“ herausgebracht und geht damit im Verlauf der Romanhandlung durch die Decke. Sind es am Anfang nur 35.000 Exemplare, so ist er am Ende bei über 700.000 angelangt. Und mit jedem neu verkündeten Auflagenrekord fällt Glavinics Stimmung ins Bodenlose, wo sie von im Alkohol getränkten Selbstzweifeln zerfressen wird. Und hinzu kommen noch Frau und Kind, Vater und Mutter und die ganze übrige Familie, die nicht verstehen kann, dass der Daniel so ein erfolgreiches Buch geschrieben hat und der Thomas nicht.

Um all das geht es in diesem Roman. Es ist ein typisches Zwischenbuch, das man schreibt, wenn man nicht richtig weiß, was man schreiben soll. Wenn das letzte Werk gerade abgeschlossen, das nächste Thema aber noch nicht gefunden ist. Wenn man zwischen den Seilen hängt und sich mit nichts anderem beschäftigen kann, als mit sich und seinen Selbstzweifeln. Dann ist es das Beste, wenn man sich alles mal von der Seele schreibt und siehe da: Da ist er ja! Ein neuer Roman, mit dem Glavinic 2007 – wie Kollege Kehlmann zwei Jahre davor – sogar auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet ist. Zu Recht, denn „Das bin doch ich“ ist ein echtes Meisterwerk; tiefgründig, tragisch, komisch, authentisch und unheimlich unterhaltsam. Das perfekte Zwischenbuch, wenn man ein anderes gerade ausgelesen hat und noch nicht weiß, was man als nächstes lesen soll.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Hanser / dtv
230 Seiten, 19,90 €/9,90 €

 

 

5 Kommentare

  1. Ich verleihe „Das bin doch ich“ gerne im Kombipack mit „Das Wetter vor 15 Jahren“. (Dazu gehören für mich auch noch „Wenn ein Reisender in einer Winternacht“ „Sechs Personen suchen einen Autor“.) Es geht für mich darum, was passiert, wenn Literatur abhebt, wie aus dem bloßen Text eine Geschichte wird, die man als Leser erlebt. Beim „Wetter vor 15 Jahren“ wird nur die Geschichte erzählt, die Erzählung selbst hat gar keinen Text. In „Das bin doch ich“ herrscht dir pure Langeweile. Nichts passiert, nichts ist erfunden. Das ist praktisch die vorweggenommene Antwort auf die Feuilleton-Frage: „Und, wieviel hat das mit ihrem Leben zu tun, ist das, was der Held da macht, bei Ihnen auch so, oder ist da auch was erfunden? …“ Für mich ist das ein Beispiel, das, was der Text zum Abheben braucht, null Erfindungsgabe braucht, also eine Untersuchung darüber, was einen Text zum literarischen Text macht. Die Handlung ist keine, Phantasie ist nicht im Spiel, das ist nur die Entscheidung wann was wie erzählt wird, eine Frage von Aufbau und Sprache, um auszuprobieren, ob das funktioniert. Und es funktioniert ….

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  2. Mit Thomas Glavinic habe ich meine Schwierigkeiten, ich glaube, er ist mir zu aufgesetzt lustig, zynisch, ironisch oder was auch immer, bezüglich des „Kameramörders“ habe ich einmal im Literaturhaus mit ihm gestritten, ob man so schreiben darf und soll?
    „Das Leben der Wünsche“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2011/05/18/das-leben-der-wunsche/ habe ich eigentlich auch eher seltsam gefunden und bei „Das bin doch ich“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2009/08/19/thomas-glavinic/ hatte ich ein Aha Erlebnis, kam ich doch darauf, daß der Autor ganz in meiner Nähe wohnen könnte und ich dachte, was ist, wenn er vielleicht eines meiner Manuskripte im Müll gefunden hat? Denn ich schreibe ja auch sehr oft über das Schreiben und ob Österreichs Literatur im allgemeinen kitschig ist, kann ich als eingefleischte Wienerin nicht so beurteilen, denke aber nicht, habe aber gerade im Schrank am Margaretenplatz Walter Lendls „Darum nerven Östereicher“ gefunden.
    Sehr bald werde ich es wohl nicht lesen können, aber dann würde ich das vielleicht erfahren. Ich bin gespannt, ob der neue Glavinic auf der Longlist stehen wird oder vielleicht gar den österreichischen Buchpreis bekommt, denn dann werde ich ihn wahrscheinlich lesen, liebe Grüße aus Wien!

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