Literarische Helden (7) – Heinrich Böll

 

Nein, dieser Autor ist eigentlich keiner meiner Helden, obwohl er immer schon da war. Seit ich denken kann, gehört er dazu. Jedes Mal wenn ich in den Siebzigern oder Achtzigern vor einem Bücherregal stand, war immer auch ein Buch von ihm mit dabei. Neben Gwen Bristow und Ephraim Kishon, Siegfried Lenz und Walter Kempowski. All diese Autoren und ein Böll durften in keiner Sammlung fehlen. Die verlorene Ehre der Katharina Blum, Ansichten eines Clowns und das Gruppenbild mit Dame. Die Titel kannte jeder, zumindest als Film. Letzteres sogar mit Romy Schneider verfilmt. Und dazu der Literatur-Nobelpreis. Was war das für ein Hype, damals im Olympia-Jahr 1972. Heide Rosendahl, Mark Spitz und Heinrich Böll. Die Menschen des Jahres als ich sieben war.

Natürlich hat es mich nie gereizt, ein Buch von ihm zu lesen. Dafür war er mir zu alt, zu allgegenwärtig, zu etabliert, zu uncool. Damals waren Schriftsteller ja immer auch politisch, fungierten, wie heutzutage nur noch Juli Zeh, als Quasi-Gewissen der Nation. Ob Nato-Doppelbeschluss oder KSZE-Konferenz – zu allem gaben sie ihren Zigarettenrauch-geschwängerten Senf dazu. Allen voran Heinrich Böll. Seine Meinung war gefragt, in der Tagesschau, der Drehscheibe, bei Monitor und Aspekte. Als er dann Mitte der Achtziger starb, übernahm Günter Grass seine Rolle, inklusive Gesinnung, Baskenmütze und Nobelpreis. Von Böll sprach irgendwie keiner mehr. Und auch seine Bücher liefen einem nur noch selten über den Weg.

Als ich dann vor einem Jahr damit anfing, mir ein Zimmer im Mid-Century-Stil einzurichten, mit Nierentisch, Tütenlampe und Retro-Bücherregal, durften natürlich auch ein paar Bücher aus der Zeit nicht fehlen. Im Möbelladen der Caritas stieß ich auf eine alte Ausgabe vom Gruppenbild mit Dame – KiWi-Original aus dem Jahr 1973 – für einen Euro. Hier und da habe ich dann noch weitere alte Böll-Romane und Erzählungen geschossen, bis ich eine schöne kleine Sammlung zusammen hatte. Und irgendwann – ich weiß auch nicht mehr, was mich dazu bewogen hat – habe ich doch tatsächlich mal in eines der Bücher reingelesen. Eine Erzählung aus einem Sammelband, nicht sehr lang, aber sehr gut. Kein langes Intro, eine Person, ein Schicksal, ein paar Seiten dicht erzählt. Und dann die nächste Geschichte: genauso gut. Wow, der alte Böll! Derart inspiriert und angeregt habe ich mir dann seinen bedeutendsten Roman gegriffen, für den er schließlich den Nobelpreis bekommen hat, das Gruppenbild mit Dame in der Caritas-Edition.

Ich tat mich zunächst ein wenig schwer, was nicht am Text, sondern an der Aufmachung des Buches lag. Der Roman hat knapp 400 Seiten, ist allerdings in einer 9er-Schrifttype gedruckt, was für meine nicht mehr ganz so taufrischen Augen eine echte Herausforderung darstellt. Aber als ich mich erstmal daran gewöhnt hatte, begann das Lesevergnügen. Böll erzählt die Geschichte von Leni, einer Frau in seinem Alter, zwischen den beiden Weltkriegen geboren, aus halbwegs guten Verhältnissen, bildhübsch, aber von schlichtem Gemüt. Berichtet wird aus der Sicht eines Verfassers, der mit unzähligen Zeitzeugen spricht, Erinnerungen zusammenträgt und alle Puzzleteile zu einem komplexen Gruppenbild mit Leni als der besagten Dame zusammenträgt. Einer Dame, die sich im Krieg mit einem Russen eingelassen hat und danach noch mal mit einem Türken. Zwei sogenannte Verfehlungen, die in damaliger Zeit nicht ohne Konsequenzen blieben. Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, das wäre heutzutage nicht mehr so. Aber mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher.

Die 9er-Schrifttype strengt mich an, aber das Lesen des Gruppenbildes macht trotzdem Spaß. Der Böll-Klassiker steckt voller detaillierter Beobachtungen, Charakter- und Milieustudien und ist sprachlich von einer eigentümlichen Schönheit. Einerseits lebendig und auf den Punkt erzählt, andererseits auf eine angenehme Art antiquiert und verstaubt. So wie mein Zimmer mit der Tütenlampe und dem Nierentisch. So wie ich, wenn ich mich unter all die jungen Blogger mische. So wie alles, das in die Jahre gekommen ist, Staub angesetzt hat und darauf wartet, noch einmal in die Hand genommen, abgestaubt, gedreht, gewendet und gewertschätzt zu werden. Um dann mit einem anerkennenden Nicken wieder im Regal zu verschwinden, für Jahre, Jahrzehnte, für immer.

3 Kommentare

  1. Henrich Böll ist ein richtig guter Autor. Gar nicht verstaubt. Habe diverse seiner Romane und Erzählungen gelesen und die „Ansichten eines Clowns“ insgesamt dreimal. Zwar schon etwas länger her, aber das ein oder andere seiner Bücher werde ich irgendwann noch lesen. Böll sollte als Literat und Mensch Vorbild für viele andere sein. Also für mich schon zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Held. Schöne Grüße, Gérard

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  2. Böll ist ein Muss – tatsächlich einer meiner großen Helden. Meinem Mann habe ich zu Weihnachten „Was soll aus dem Jungen bloß werden oder Irgendwas mit Büchern“ geschenkt. Er hatte es erst einmal beiseite gelegt und nun innerhalb von Stunden gelesen. Ein beeindruckendes, überhaupt nicht angestaubtes Zeugnis aus der furchtbaren Nazi-Zeit und trotzdem auch unterhaltend zu lesen. Mein erster Böll war tatsächlich nicht das Gruppenbild, sondern Billard um halbzehan. Muss ich unbedingt bald mal wieder lesen.

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