Simon Strauß – Sieben Nächte

Du bist Anfang zwanzig, hast den Bachelor in der Tasche und letzten Sonntag CDU gewählt? Dann könnte das ein Buch für dich sein. Du fragst dich, wie der nächste Karriereschritt aussehen könnte? Auf eine Stelle bewerben oder lieber noch den Master machen? 40.000 im Jahr müssten jetzt schon machbar sein. In fünf Jahren das Doppelte und spätestens mit 30 dann sechsstellig. So lautet der Plan, das hast du dir fest vorgenommen.

Kein Problem, hau rein, du schaffst das. Aber vorher tue mir bitte noch einen Gefallen: Lies dieses Buch. Es dauert auch nicht lange. Es ist dünn, an einem Abend bist du damit durch. Und dann schlaf einfach mal ne Nacht darüber. Lass das alles auf dich wirken, und wenn du dich am nächsten Morgen fragst, warum ich dir das überhaupt empfohlen habe, was dir dieses Buch hätte sagen sollen, außer ein paar wirren Gedanken, dann ist alles gut. Dann muss ich dir auch gar nichts mehr erklären. Denn dann bist du definitiv auf dem richtigen Weg. Mach einfach weiter so, fordere beim Bewerbungsgespräch 50.000 Euro und bestell dir nach der Probezeit deinen ersten BMW.

Wenn es dir aber beim Lesen der knapp 140 Seiten so ging wie mir, wenn du das schmale Büchlein nicht mehr aus der Hand legen konntest, einige Passagen sogar laut gelesen hast, um die Kraft und den Pathos des Geschrieben besser zu spüren, dann, ja dann brauche ich eigentlich auch gar nichts mehr zu sagen. Es wird jetzt unter Garantie irgendetwas in dir arbeiten.

Innehalten, noch mal über alles nachdenken, sich an sich erinnern – darum geht es in diesem Buch. Und das macht man immer gerne, wenn mal wieder eine Dekade durchlitten ist. Man zieht ein Fazit und definiert neue Ziele. Oder wie Simon Strauß es auf Seite 20 so schön sagt: “Bevor der Moment des Übergangs kommt, die Zukunft mich für immer eingemeindet, will ich den festgelegten Ablauf noch einmal durchbrechen. Will mich mit aller Kraft an den Uhrzeiger hängen und versuchen einmal selbst Anstifter zu sein. Ein einziges Mal will ich spüren, wie es ist, groß anzusetzen, aus dem Schatten hervorzutreten, von oben auf das Geschehen herabzusehen. Ich will. Und ich kann.“

In „Sieben Nächte“ geht es um den Übergang von Zwanzig auf Dreißig – bei mir ist das schon lange her. Und doch kann ich mich noch ganz genau erinnern. Ich stand in voller Blüte, hatte mein Leben fest im Griff – so dachte ich. In Wirklichkeit aber war ich vollkommen fremdbestimmt. Alles folgte einem geheimen Plan. Familie und Karriere – darum drehte sich alles. In dieser Zeit habe ich nichts gelesen und nichts infrage gestellt. War zufrieden in meinem Hamsterrad.

Was wäre gewesen, wenn ich damals ein Buch wie dieses in die Hände bekommen hätte? Vielleicht hätte ich es nach ein paar Seiten entnervt zur Seite gelegt und es als dummes Geschwätz abgetan. Vielleicht aber auch nicht, denn ich war schon immer anfällig für eine gewisse Form von Größenwahn und Maßlosigkeit – zwei der sieben Todsünden, die in diesem Buch beschrieben werden.

Bevor ich weiter abschweife, will ich kurz noch erzählen, worum es überhaupt geht. Zunächst einmal: Es ist kein Roman, obwohl es eine Art Rahmenhandlung gibt. Der namenlose Protagonist wird demnächst Dreißig, blickt auf sein Leben zurück und schließt mit einem Unbekannten einen Pakt. In sieben Nächten stellt er sich jeweils einer der Todsünden und schreibt seine Erfahrungen auf. Am Ende gibt es ein Fazit. Das war’s auch schon in Sachen Handlung. Alles andere ist freie Assoziation. Simon Strauß lässt seinen Gedanken freien Lauf, schreibt alles auf, was ihm zu den Themen Hochmut, Völlerei, Faulheit, Habgier, Neid, Wollust und Jähzorn durch den Kopf geht. Und dieser Flow ist wirklich bemerkenswert.

Um diese Art Pamphlet genießen zu können, sollte man sich zunächst von der Erwartung frei machen, eine Bestandsaufnahme des geistigen Zustands der Twenty-Something-Generation zu bekommen. Das hier ist auch keine philosophische Auseinandersetzung mit den sieben Todsünden. Es geht nicht um Inhalte, um das, was für Völlerei, für Wollust oder Jähzorn stehen könnte. Auch nicht darum, welcher Versuchung man unbedingt noch nachgehen sollte, bevor man 30 wird. Nein, hier geht es um ein Gefühl, um ganz persönliche Ansprüche, Haltungen und Ansichten. Subjektiv verbrämt und nicht vollständig durchdacht – so wie Tagträume und Gedankenströme nun mal sind. Diese Authentizität macht das Buch für mich so wertvoll und überzeugend.

Wer keinen emotionalen Zugang findet, wird mit diesem Buch stranden. Eine rationale Auseinandersetzung mit dem Text macht erstens keinen Spaß und fördert zweitens zahllose Ungereimtheiten, geschwätzige Wiederholungen, antiquierte Begriffe und schräge Wortbilder zutage. Katharina Herrmann hat das in ihrer sehr lesenswerten Rezension wunderbar treffend ausgeführt. Mich hat das alles nicht gestört. Stattdessen habe ich mich an der Sprachmelodie und dem Rhythmus erfreut. Ich kann nur empfehlen, es laut zu lesen. Schon nach wenigen Seiten ist man im Flow.

Wenn ich ehrlich bin, ist dieses Buch genau das, was ich immer schon hätte schreiben wollen. Damals Mitte/Ende zwanzig, als ich mir vorgenommen habe, im Leben keine kleinen Brötchen zu backen, immer das etwas größere Rad zu drehen und mutig nach vorne zu gehen.

Damals? Eigentlich hat sich nichts verändert. Ich will das alles immer noch. Gleich morgen fang ich damit an.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Blumenbar Verlag (Aufbau) 
140 Seiten, 16,00 €

2 Kommentare

  1. Hallo!

    Es ist mir immer eine Freude, Deine so ausführlichen Beiträge zu lesen!
    Hier hast Du mich jetzt jedenfalls sehr neugierig auf das Buch gemacht … meine „noch zu lesen Liste“ ist um einen Eintrag länger geworden. 😉

    Gruß Andre

    Gefällt 1 Person

  2. Ganz so toll habe ich das Buch nicht empfunden, am Anfang ja da ist es fasznierend und man denkt sich, nach all der Werbung, das neue Kultbuch in der Hand zu haben und es gibt auch einige sehr schöne Wortschöpfungen und Wenungen darin, aber so bei der zweiten oder dritten Nacht habe ich mir gedacht, das ist ja gar keine Todsünde die er da begeht, wenn er beispielsweise faul ist und vieles von dem Beschiebenen passiert auch gar nicht in der Nacht. Vielleicht wäre das Show an not philosophy hier besser gewesen, einfach sieben Geschichten die er in den Nächten erlebt, womit er nachher mit seinem prekären Leben besser zurechtkommt
    https://literaturgefluester.wordpress.com/2017/08/04/sieben-naechte/

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