Gesammelte Verrisse 02/18

Je länger ich mich mit Büchern beschäftige, mich um eine Meinung bemühe, links und rechts schaue, was andere zum gleichen Gegenstand sagen, desto überzeugter bin ich davon, dass es ein allgemeingültiges Urteil über die Qualität von literarischen Werken nicht gibt. Selbst die Profis im Literaturbetrieb bieten da wenig Orientierungshilfe. So sehr sich die Damen und Herren Mangold und Scheck, Delius und Dorn auch bemühen, quasi-objektive Kriterien für oder gegen ein Werk ins Felde zu führen, es findet sich immer einer, der mit den gleichen Mitteln das genaue Gegenteil sagt. Scheinbar ist es in letzter Instanz doch nichts anderes als Geschmackssache, ob ein Buch gefällt oder eben nicht.

Seit ich das realisiert habe, verunsichert es mich auch nicht mehr, wenn andere ein Buch, welches ich aus unterschiedlichsten Gründen unerträglich finde, in höchsten Tönen loben. Manchmal erwischt mich ein Roman einfach auf dem falschen Fuß, da kann der beste Autor nichts dafür, wenn mich gerade andere Dinge interessieren und ich keinen Kopf für sein Thema habe. Das kann ein paar Wochen später schon wieder anders sein, was aber an der Sache an sich nichts ändert, denn ein einmal verrissenes Werk bekommt angesichts der Unmenge noch auf mich wartender Bücher nur äußerst selten eine zweite Chance.

Das zur Einleitung. Und nun viel Vergnügen bei den Kurz-Verrissen des Monats.

Jon McGregor – Speicher 13

Gleich das erste Werk ist so ein Buch, bei dem sich die Geister scheiden. Man findet im Netz sehr viel Positives über den neuen Roman des Briten Jon McGregor. Auf dem Klappentext wird er als literarischer Thriller angepriesen, der sich „ganz beiläufig zu einem eindringlichen Roman über das Leben und die Vergänglichkeit der Zeit“ entwickelt. Das hat mich neugierig gemacht, obwohl ich hätte merken müssen, dass hier der gleiche Marketing-Trick angewandt wird, wie beim Kinder-Überraschungsei. Dem Leser wird Spannung, Erbauliches und zugleich Nachdenkliches versprochen obwohl jeder, der schon mal ein Überraschungsei gegessen hat weiß, dass sich drei Wünsche nur in seltenen Fällen mit einem einzigen Produkt befriedigen lassen. Und so war auch ich enttäuscht von dem, was sich mir zwischen den Buchdeckeln präsentierte. Weder Spannung noch Erbauliches, sondern nur nachdenkliches Grübeln über die zahllosen Charaktere, die McGregor einem alle paar Seiten im Dutzend vor die Füße wirft. Ein ganzes Dorf an konturlosen Protagonisten schwirrt einem beim Lesen der ersten fünfzig Seiten durch den Kopf, ständig musste ich zurückblättern, mich vergewissern, wer jetzt noch mal wer war. Ich hasse sowas und finde, eine gewisse Übersichtlichkeit im Setting herzustellen, gehört nunmal zum Handwerkszeug eines Schriftstellers. Und so quälte ich mich eine Woche lang Abend für Abend durch dieses Buch und hab am Ende nur 70 Seiten gelesen, bevor ich die befreiende Entscheidung traf, es einfach abzubrechen.

Verlag: Liebeskind
323 Seiten, 22,00 Euro

 

Han Kang – Menschenwerk (Hörbuch)

Das große Durcheinander bei den Protagonisten ärgerte mich auch beim neuesten Roman der südkoreanischen Autorin Han Kang. In „Menschenwerk“ geht es um die bürgerkriegsähnlichen Unruhen in Südkorea Anfang der Achtziger Jahre, bei denen tausende Demonstranten ihr Leben verloren. Es werden teilweise drastische Szenen geschildert, die Unmenschlichkeit und Brutalität des Krieges stellt sich in erschreckendem Ausmaß dar. Ich habe Menschenwerk nicht gelesen, sondern das Hörbuch gehört und festgestellt, dass sich nicht jedes Buch auch zum Vorlesen eignet. Vielleicht hätte es mit einer anderen Sprecherin funktioniert, aber Rike Schmids aufgeladene, stets anklagende und sich bei besonders grausamen Schilderungen brechende Stimme hat eine Antihaltung bei mir erzeugt. Vielleicht war auch das der Grund dafür, dass ich es nicht geschafft habe, herauszufinden, wer von den zahllosen Protagonisten, deren asiatische Namen für europäische Ohren auch ziemlich gleich klingen, jetzt gerade gedemütigt, gefoltert oder umgebracht wurde. Trotzdem bin ich bis zum Schluss dran geblieben, habe das Hörbuch einfach weiterlaufen lassen und meine nach Zuordnungen verlangende innere Stimme einfach ignoriert. Am Ende muss das Durcheinander in meinem Kopf in etwa dem Durcheinander auf den Straßen von Gwangju während der Miltäreinsätze entsprochen haben. Ob die Autorin genau das bezweckt hat? Ich weiß nicht, die Hörbuchvariante hat mir jedenfalls überhaupt nicht gefallen.

Hörbuchverlag: Finch & Zebra
6 h, 10 Minuten, gesprochen von Rike Schmid (Hörprobe)

 

Christoph Höhtker – Das Jahr der Frauen

Das dritte Buch in dieser Reihe an Verissen hat es vielleicht noch weniger verdient, hier genannt zu werden, als die beiden vorangegangenen. Auch zu Christoph Höhtkers Roman, mit dem er es im letzten Jahr sogar auf die Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat, findet man im Netz jede Menge Positives. Und auch ich fand zunächst die Geschichte des PR-Mannes Frank Stemmer ganz interessant, der mit seinem Therapeuten wettete, in einem Jahr mit 12 Frauen zu schlafen, um sich anschließend umbringen zu dürfen. Es ist auch echt nicht schlecht geschrieben, hat Anspruch und auch Humor. Aber irgendwie bin ich durch mit diesen ewig gleichen Geschichten von Männern in der Midlife-Crisis, die im Karriere-Hamsterrad gefangen sind, sich mit Sexabenteuern betäuben und dabei immer unglücklicher werden. Das kennt man von Houellebecq und von Glavinic; das braucht man nicht noch in einer deutschen Variante. Und so habe ich mich gelangweilt durch die ersten 80 Seiten gequält, um dann irgendwann festzustellen, dass es mir egal ist, ob und wie der Held dieses Romans die anderen elf Frauen noch ins Bett bekommt.

Verlag: weissbooks.w

256 Seiten, 22,00 €

__________

 

Foto: Gabriele Luger

7 Kommentare

  1. Von diesen drei Titeln hatte ich definitiv „Speicher 13“ auf dem Radar – eben weil es von einigen Kritikern/Bloggern so hoch gelobt wird.

    Nun halte ich erst einmal Abstand.

    Es tröstet mich zu wissen, dass auch du manches Buch einfach abbrichst, ich halte es ebenso. Angesichts der Fülle guter Literatur sollte man seine Zeit nicht mit Büchern vertändeln, die nicht gefallen 😉
    Was nach 50-100 Seiten nicht zieht, tut es danach auch meist nicht mehr.

    Gefällt 2 Personen

  2. Ich fand jedenfalls „Speicher 13“ großartig und kann Deine Meinung auch nicht unterschreiben, dass die Figuren konturlos sind. Ganz im Gegenteil. Die Geschichten der Protagonisten werden nach und nach im Laufe des Geschehens, der Jahre erzählt. Im Übrigen war es, ehrlich gesagt, das erste Buch, das ich aus diesem Verlag gelesen habe. Also, nichts mit Liebeskind-Bonus. Aber ich werde sicherlich weitere Titel lesen. Viele Grüße

    Like

    1. Ich wusste, das du das nicht so stehen lassen konntest. 😉Schön zu hören, dass die Protagonisten noch Kontur bekommen haben. Ich dachte mir sowas schon, aber nach fünf quälenden Leseabenden hatte ich einfach keine Lust mehr drauf.

      Gefällt 1 Person

    1. Dann sieh mal zu, Kaffeehaussitzer, dass das Buch aus dem Regal raus kommt und gelesen wird! Es würde much doch wirklich mal interessieren, ob zwei meiner bevorzugten Quellen für Lesetipps zu einem einheitlichen oder kontroversen Urteil kommen 😀

      Gefällt 2 Personen

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s