Katya Apekina – Je tiefer das Wasser

Wenn es draußen in der Welt drunter und drüber geht, die gesellschaftlichen Konflikte immer vielschichtiger werden und schnelle Lösungen nicht in Sicht sind, dann ist wieder einmal Hochsaison für den guten alten Familienroman. Mit Kuscheldecke und `ner Tasse Tee auf dem Lesesofa den Schlagzeilen entfliehen, die Welt im Kleinen betrachten, sich in bekannte Strukturen mit überschaubaren Problemen begeben.

In der Ur-Zelle alles Zwischenmenschlichen kennen wir uns aus: Vater, Mutter, Kind – da kommen wir alle her. Da ist alles angelegt, dort werden die Weichen gestellt und es entscheidet sich, welches Leben wir einmal führen werden. Keiner kann sagen, das gehe ihn nichts an. Und deswegen ist auch nicht weiter verwunderlich, dass Familienromane gerade eine Renaissance erleben. Ob autobiografisch oder fiktional, romantisch verklärt oder anklagend, von etablierten Autoren oder Debütanten – auf den Büchertischen findet man derzeit kaum noch andere Themen. Das ist nicht nur purer Eskapismus, das ist auch der Frage geschuldet, wie man heutzutage überhaupt noch eine größere Menge Menschen erreicht.

Es gibt kaum noch Dinge, die eine Art Wir-Gefühl erzeugen, keine gemeinschaftlichen Erlebnisse wie die große Samstagabend-Familienshow im öffentlich rechtlichen Fernsehen, keinen Thomas Gottschalk, den wirklich jeder kennt. Zu divers ist das Themenspektrum, zu groß die mediale Vielfalt; zu viele Optionen, Leben und Freizeit zu gestalten. Aber Familie kennt jeder. Sie ist die letzte gemeinsame Klammer, die Menschen im 21. Jahrhundert miteinander verbindet. Fluchtpunkt und zugleich Sehnsuchtsort und etwas, wozu alle nicht nur eine Meinung haben, sondern auch ein Gefühl.

Sorry für dieses etwas zu lang geratene Intro. Kommen wir nun zum eigentlichen Thema, dem Debütroman von Katya Apekina. Es handelt sich hier – was jetzt sicherlich keinen mehr sonderlich überraschen wird – um einen klassischen Familienroman, und zwar um einen richtig guten. Mit ganz viel Emotion, interessanten Charakteren, lebendig erzählt und mit einem kreativ konstruierten Spannungsbogen. Erzählt wird die Geschichte von zwei sehr unterschiedlichen Schwestern, Edie und Mae, die nach dem Selbstmordversuch ihrer Mutter in die Obhut ihres Vaters kommen. Dennis Lomack ist ein bekannter Schriftsteller, der die Familie vor mehr als zehn Jahren verlassen hat und seither in New York lebt. Die Schwestern reagieren unterschiedlich auf den so lange abwesenden Vater. Während Edie auf Distanz bedacht ist, steigert sich die jüngere Schwester in einen ungesunden Liebeswahn zum Vater.

Alle auftauchenden Figuren sind gleichzeitig auch erzählende Personen. Der in insgesamt vier Teile, zahlreiche Kapitel und Abschnitte gegliederte – und dabei leider auch etwas zer-gliederte Roman lässt uns Leser immer wieder aus unterschiedlichen Erzähl- und Zeit-Perspektiven auf das Geschehene blicken. Hinzu kommen noch Zeitungsartikel, Prozess- und Krankenakten, die nach und nach immer mehr Licht in die komplexen Familienverhältnisse bringen. Dieser kreative Mix unterschiedlicher Erzählformen ist zwar äußerst reizvoll und verleiht diesem Roman das gewisse Etwas, hemmt allerdings auch den Lesefluss. Obwohl mich die Geschichte nicht eine Minute gelangweilt hat, habe ich doch ziemlich lange für die knapp 400 Seiten gebraucht. Wenn alle vier, fünf Seiten ein größerer Cut kommt und die Perspektive wechselt, ist der Impuls, eine Lesepause einzulegen, um mal eben Mails abzurufen oder bei Facebook nach dem Rechten zu sehen, ziemlich hoch.

Trotz dieser manchmal auch länger dauernden Lesepausen hatte mich dieser Roman die ganze Zeit am Haken und konnte im letzten Drittel sogar noch einen echten Sog entwickeln. Und auch nachdem ich das Buch ausgelesen und zufrieden nickend aus der Hand gelegt habe, ließen mich die Gedanken, die diese tragische Familiengeschichte in mir angestoßen hat, nicht mehr los. Auf alle Fälle hat Katya Apekina sehr eindrucksvoll bewiesen, dass die Komplexität der Probleme in Familien denen in der Welt da draußen in nichts nachsteht.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Suhrkamp
Aus dem Amerikanischen übersetzt von: Brigitte Jakobeit
396 Seiten, 24,00 €

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