Peter Prange – Eine Familie in Deutschland (Band 1 und 2)

In meiner Timeline ist Peter Prange noch nie aufgetaucht. Bisher scheint keiner der Bloggerinnen und Blogger, denen ich folge, schon mal irgendetwas von diesem Bestseller-Autor gelesen zu haben. Warum eigentlich nicht? Im Buchhandel ist der Autor dagegen sehr präsent. Man muss nicht lange suchen, im Bestseller-Regal und auf den Highlight-Tischen stapeln sich die beiden Bände von „Eine Familie in Deutschland“. Erst kürzlich habe ich ein Beratungsgespräch belauscht, bei dem die Buchhändlerin zu einer Kundin sagte: Damit können sie nichts falsch machen – das ist erstklassige Unterhaltungsliteratur, die man in einem Rutsch so wegliest.

Wenn von Unterhaltungsliteratur die Rede ist, bin ich normalerweise sofort raus, und daher hakte ich Prange zunächst auch für mich ab. Doch prinzipiell mag ich ja dicke Familienepen sehr, liebe es, wenn man von Seite zu Seite immer vertrauter mit den Figuren wird, bis man irgendwann wie ein altes Familienmitglied mit am Tisch sitzt und den Gesprächen lauscht. Ich erinnere mich an tolle Erlebnisse mit den Buddenbrooks und Kempowskis, mit der Familie von Nino Haratischwilis Brilka und zuletzt natürlich mit den Cerullos, Carraccis und Solaras in Ferrantes Neapel. Auch wenn es den einen oder anderen Leser vielleicht abschreckt, schiere Länge macht immer noch Eindruck.

Alleine die lange Zeit, die man mit in einer Geschichte verbringt – bei mir waren es in diesem Fall knapp drei Wochen für einmal 700 beim ersten Band und nochmal 800 Seiten beim zweiten – haben etwas Prägendes. So schnell werde ich diese langen, ereignislosen Sommerwochen im Corona-Jahr, die ich mit den Isings verbracht habe, wohl nicht vergessen. Eine Romanfamilie, wie sie für eine RTL Telenovela nicht besser hätte gecastet werden können. Prange hat in die 1.500 Seiten alles reingepackt, was das Schmonzetten- und Dramaherz begehrt, vom sympathischen Herzensbrecher und Lieblingssohn bis zum intriganten und lüsternen Onkel wurde jede Rolle besetzt. Und alle Figuren erfüllen genau das, was man von ihnen erwartet. Der Vater ist väterlich, die Mutter mütterlich, die beiden Söhne im ungleichen Hahnenkampf gefangen, die Töchter talentiert, erfolgreich aber unglücklich und dazu der kleine Willy, der immer fröhlich ist und mit jedem „Ei“ machen will. Alles spielt in der Zeit des Nationalsozialismus, erzählt von den Anfängen bis zum desaströsen Ende. In einer Zeit, die allen alles abverlangt, und gute und schlechte Eigenschaften schonungslos offenlegt. Das Scherenschnitthafte der Charaktere wird dadurch noch mehr verstärkt.

Prange fährt dick auf. Nahezu alles, was man als Nicht-Zeitzeuge aus der Nazizeit so kennt: den Kommisston der Sturmbannführer, die blonden Haarschnecken der gebärfreudigen Ehefrauen, die Arbeitslager, das Pervitin, die Propagandafilme bis hin zur Rampe und den Gaskammern in Ausschwitz – wirklich alles wird irgendwie in die Handlung eingebaut. Die Grenzen zwischen Dichtung und Wahrheit sind dabei fließend. Hitler, Göring, Ferdinand Porsche, Josef Goebbels, Leni Riefenstahl sind genauso mit von der Partie und interagieren mit den Isings, wie auch die Jüdin Stella Goldschmidt, deren nacherzählte Geschichte erst jüngst zu Takis Würgers literarischem Waterloo wurde.

Natürlich hat mich das gestört, natürlich habe ich beim Lesen immer wieder mit den Augen gerollt und in Gedanken schon eine vernichtende Rezension geschrieben, in der ich diesem Werk jeglichen literarischen Anspruch abspreche. Aber trotzdem konnte ich von diesem Buch nicht lassen, habe nach Band 1 sofort auch Band 2 hinterhergeschoben und mich dabei wunderbar unterhalten gefühlt.

Ja, dieser Roman ist voller Klischees und Nazikitsch, die Figuren sind sehr eindimensional und in ihrem Handeln vorhersehbar und zum krönenden Abschluss erwartet einen noch ein echtes Happy End aus der Hölle. Ja, das ist wahrlich keine große Literatur und doch wäre es eine Lüge zu behaupten, dass es mir nicht gefallen hat. Die Buchhändlerin aus Krefeld hat recht: Prange produziert erstklassige Unterhaltungsliteratur, die man in einem Rutsch so wegliest. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Fischer Scherz
Band 1: Zeit zu hoffen und zu leben,
672 Seiten, 13,00 Euro (Taschenbuch)

Band 2, Am Ende die Hoffnung,
811 Seiten, 24,00 Euro (Hardcover)

2 Kommentare

  1. Telenovela? Schmonzette? Happy End? Himmel, das klingt ja furchtbar! Aber interessant, dass Du den Büchern trotz aller Abneigung etwas Positives abringen kannst.
    LG von der Ostsee!

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