Cornelia Travnicek – Junge Hunde

 

Man kann davon ausgehen, dass jeder Autor sich ganz genau überlegt, mit welchem Satz er einen Roman beginnt. Und wenn er nicht selber darauf achtet, dann werden es Verlag und Lektor tun. Denn der erste Satz muss sitzen. Er ist ein Versprechen, eine Art Willkommensgruß, spannt den Bogen, bestellt das Feld. Auch Cornelia Travnicek wird sich etwas dabei gedacht haben, als sie den folgenden ersten Satz für ihren Roman „Junge Hunde“ ausgewählt hat: „Der Tag ist frühmorgens mit flüssigem Licht übergossen worden und lichtern trieft es nun an den Bäumen herab.“

Ja, was hat sich die junge, österreichische Autorin wohl dabei gedacht? Ich nehme an, sie wollte einen stimmungsvollen Einstieg schaffen, wollte zeigen, dass es in diesem Roman um große Gefühle geht. Es wird übergossen und es trieft. Also weniger Plot, mehr Stimmung – getragen, poetisch-literarisch, anspruchsvoll. Alles schön und gut, aber musste sie mit einem Satz beginnen, der auch von Günter Grass hätte stammen können?

Problematisch ist dieser lichtern triefende und altmodisch anmutende Satz, von dem es im weiteren Verlauf des Romans noch weitere gibt, weil er so gar nicht zum flockig, poppigen Auftritt dieses klassischen Coming-of-Age-Romans passt. So zielt die günstige Paperback-Ausgabe mit einem schmelzenden Cuja-Mara Split auf petrolfarbenem Cover ganz klar auf eine junge Leserschaft. Jung wie die beiden Romanhelden Johanna und Ernst – beide Mitte Zwanzig, beide fertig mit dem Erwachsenwerden, beide vor dem nächsten Entwicklungsschritt. Eine schwierige Zeit, rückblickend betrachtet sogar die allerschwerste Zeit im Leben. Tausend Fragen, auf die man eine Antwort finden muss. Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich? Wer liebt mich? Wen liebe ich? Was ist Liebe überhaupt?

Und während Johanna gerade dabei ist, all diese Rätsel zu lösen, stirbt plötzlich der Hund, mit dem sie aufgewachsen ist und es wird ernst mit dem Erwachsensein. Jetzt noch schnell einen Haken an die letzte, alles entscheidende Frage machen – Wo komm ich her, was macht mich aus? – und dann durchstarten in ein verantwortungsvolles Leben.

Aber in diesem Roman wird nicht durchgestartet, es wird erst mal aufgeräumt. Und zwar in Johannas ehemaligem Elternhaus. Und das ist düster, verstaubt und bedeutungsschwer. Also das genaue Gegenteil von dem, was das sommerlich leichte Pop-Art-Cover verspricht. Und so geht es auf den 235 Seiten dieses Romans auch weiter.

Die Sprache ist melancholisch getragen, die Handlungsstränge durch surreale Einschübe gebrochen, keine Leichtigkeit, kein Witz, keine Dynamik. Beinahe hätte ich gesagt: typisch österreichisch. Eine konstant morbide Stimmungslage beherrscht das Setting. Auch der zweite Romanheld Ernst, der in China auf der Suche nach seinen Wurzeln ist, erlebt keine wirklich gute Zeit.

Dass diese Melancholie nicht einfach nur dem Österreichischen entspringt, sondern von der Autorin ganz bewusst ein- und aufgesetzt wurde, zeigt sich in dieser Gesprächspassage zwischen Johanna und ihrem Nachbarn Glantz: „Wissen Sie, der Mensch hat ein Recht darauf, traurig zu sein. Sind Sie manchmal traurig? Das ist gut. Traurig sein ist gut. Lassen Sie sich das nicht nehmen. Auch jungen Menschen steht es zu, ein wenig melancholisch gestimmt zu sein, ja wirklich…Nichts wofür man sich schämen müsste.“

Und damit wird klar, was die Autorin ihren Protagonisten und Lesern für den nächsten Lebensabschnitt mit auf den Weg gibt: Ohne Trauer, keine Freude, ohne Schwermut, keine Leichtigkeit, ohne Ängste, keine Sorglosigkeit. Und daraus ergibt sich zwangsläufig: ohne Rückschritt, keine Entwicklung. Eigentlich ein schönes Fazit für einen Entwicklungsroman, der zwar hier und da einige Schwächen und Längen hat, aber gleichzeitig auch beeindruckend dicht, intensiv und authentisch ist. Und ja, traurig ist er natürlich auch. Aber wie sagt der Österreicher? Kein Grund gleich den „Fotz hängen zu lassen“.
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Titelfoto: Gabriele Luger
Verlag: DVA
238 Seiten, 14,99 €

Auf Youtube findet sich auch ein Buchtrailer:

Eine weitere, lesenswerte Rezension samt einem Autoreninterview haben Mareike und Maike auf ihrem Blog Herzpotenzial veröffentlich.

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