„Kheyli mamnun“ ist persisch und heißt: Vielen Dank. Wer diese zwei Wörter beherrscht, kommt im Iran schon ziemlich weit. Denn der Iraner an sich ist ein freundlicher Mensch. Jeder, der mal in den Genuss persischer Gastfreundschaft gekommen ist, wird dies bestätigen können. Man lächelt, ist höflich, zuvorkommend und bedankt sich unglaublich viel. Und da auch in mir zur Hälfte persisches Blut fließt, habe ich nach der Lektüre dieses Romans auch ganz spontan das Bedürfnis, mich zu bedanken.
Kheyli mamnun, liebe Shida Bazyar, für diesen Roman. Vielen Dank für ein Buch, das noch vor einem Jahr sicherlich nur wenige interessiert hätte. Denn das, worüber die deutsch-iranische Autorin schreibt, ist lange her. 1979 – der Schah geht, Khomeini kommt, und eine Familie muss ihr Heimatland verlassen. An diese Zeit kann sich kaum einer mehr erinnern. Das klingt langweilig und verstaubt und hat nichts mit uns zu tun. Aber jetzt – jetzt ist das Thema plötzlich wieder voll en vogue, surft ganz oben mit auf der Flüchtlingswelle. Weil immer mehr ins Land kommen, interessiert sich ganz Deutschland wieder für seine Migranten. Wer ist in den letzten Jahren schon alles gekommen und geblieben? Und wie ist uns die Integration gelungen? Muss man sich Sorgen machen, oder ist alles gut?
Im Fall der aus dem Iran immigrierten Familie Bazyar scheint alles gut verlaufen zu sein. Ihre Tochter Shida ist 1988 in Deutschland geboren, hat bereits mit 16 Jahren ihren ersten Schreibwettbewerb gewonnen und gerade eben ihren ersten Roman bei einem renommierten Großverlag veröffentlicht. Und was soll ich sagen? Wir haben zwar erst Februar, aber für mich ist dieser Roman schon jetzt das Debüt des Jahres. Dieses Buch ist so phänomenal gut, legt die literarische Latte so hoch, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass da im Verlauf des Jahres noch irgendetwas Besseres kommen wird.
Und das liegt nicht am Top-Thema Migration, nicht am Romanplot, nicht an der iranischen Familiengeschichte, die uns vier Jahrzehnte aus Sicht eines jeweils anderen Familienmitglieds schildert. Nein, das ist nicht das Besondere, solche Romanaufbauten gibt es zuhauf, das haben wir alle schon in den verschiedensten Variationen gelesen. Nein, das Besondere an diesem Roman ist die Sprache. Selten, sehr selten habe ich in letzter Zeit ein Buch gelesen, was mich sprachlich so beeindruckt hat. Selbst Valerie Fritschs „Winters Garten,“ ein Roman dessen Sprachgewalt mich letztes Jahr regelrecht umgehauen hat, kann hier nicht mehr mithalten.
Mir selbst fehlt das Sprachvermögen, das angemessen zu beschreiben. Aber ich versuche es mal. Shida Bazyar kann nicht nur wahnsinnig gut schreiben. Nein, das können viele, das trifft es nicht. Sie ist so etwas wie ein literarisches Megatalent. Eine Akrobatin, jemand, der mit Wörtern jongliert, sie ohne große Mühe zu kunstvollen Satzgebirgen aufstapelt, sie wieder einstürzen lässt und im freien Fall neu auf der Seite verteilt. Sie formt Sätze, die geschliffen, präzise und vollkommen sind und an keiner Stelle mehr verbesserbar. Lange Sätze, kurze Sätze, Satzfragmente. Alles ist sehr verschachtelt, es gibt kaum Absätze und keine wörtliche Rede.
Wenn man beiläufig und nichtsahnend in das Buch reinliest, ist man schnell überfordert. Sprachlich ist das alles so verdichtet, dass man bei mangelnder Konzentration schnell den Faden verliert. Aber nicht nur das. Man bringt sich selbst um den literarischen Hochgenuss. Als ich irgendwann auf Seite dreißig oder vierzig merkte, was für ein Kunstwerk ich hier in den Händen hielt, habe ich angefangen, das Buch laut zu lesen. Das mache ich seit meinem Coming Out in Sachen Lyrik sonst nur bei Gedichten. Doch diesen Roman habe ich komplett laut gelesen und dabei jeden Satz doppelt genossen. Einmal beim Lesen und einmal beim Hören. Und plötzlich ist gar nichts mehr fordernd und anstrengend, sondern alles ganz leicht und fließend. Man badet in schöner Sprache und kann sich in die Geschichte fallen lassen.
Und auch hier kann ich aufgrund meines persönlichen Hintergrunds sagen: Ja, genau so war und ist es. Shida Bayzar tischt uns nicht irgendeine Geschichte auf, nur um etwas zu haben, worüber sie schön schreiben kann. Nein, ihr geht es auch um die Sache. Wie sie die persische Mentalität beschreibt, das zu Besuch sein in der Großfamilie, die unzähligen Cousins und Cousinen, die vielen Onkel und Tanten, den Tee, das Obst, die Pistazien, den schweren Reis, die tagelang köchelnden Eintöpfe. Die Frauen, die sich mit zwei dünnen Fäden die Körperhaare epilieren, die Nächte auf dem Dach, die Geräusche der Metropole – das alles habe ich genauso erlebt und empfunden wie in diesem Roman beschrieben. Und auch ich hatte Verwandte, die sich wie Behsad, der Vater der Romanfamilie, nach dem Sturz des Schahs Hoffnung machten, im Iran eine Republik nach sozialistischem Vorbild zu errichten. Und auch in meiner Familie hat man resigniert und ist in den Westen emigriert, ohne aber jemals die Hoffnung zu verlieren, irgendwann in ein von allen Zwängen befreites Land zurückzukehren.
Und obwohl ich persönlich einen großen Groll gegen fundamentalistische Ansichten hege, den Islam in all seinen Ausprägungen mehr als kritisch sehe, habe ich mich beim Lesen dieses Romans auf sehr angenehme Art weder bestätigt noch widerlegt gefühlt. Auch wenn beim Thema „Iran“ immer auch Politik und Religion eine große Rolle spielen, ist dies in erster Linie ein Familienroman. Es geht um Träume, um Zwänge, um Anpassung, um Scheitern, um Neuorientierung, um Hoffnung und um Liebe. Die ganz großen Menschheits-Themen, eindrucksvoll dargestellt in einem ganz großen Romandebüt.
Bitte lesen. Bitte weitersagen. Bitte Danke sagen.
____________
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
275 Seiten, 19,99 €
Hier im lokalen Buchhandel bestellen.
Die Autorin liest zehn Seiten:
Oh, das klingt aber sehr gut. Allein wegen der Beschreibung der Sprache bin ich interessiert … Danke, Tobias!
LikeGefällt 1 Person
Oh, ist das Foto süß!
((Feenstaubbloggerkommentar))
LikeGefällt 1 Person
Ja, nicht wahr? Teheran 1969.
LikeLike
😍😍😍
LikeLike
Wunderbare Besprechung! Das Buch liegt hier auch schon bereit und jetzt bin ich so richtig neugierig darauf geworden. Danke!
LikeLike
Wird Dir gefallen, da bin ich mir sicher.
LikeLike
Nach deiner Rezension bekommt das Buch eine zweite Chance bei mir. Merci für die Worte, die du gefunden hast, um dein Lese-Erlebnis zu beschreiben.
LikeLike
Ein wirklich ganz wunderbares Buch! Ich wünsche ihm ebenso viele Leser.
LikeLike
Auch wenn die Sprache, das wichtigste ist, gibt es hier, wie ich fast befürchtet habe, keine bloßen Sprachräusche im Sinne des l`art pour l` art sondern eine dichte Beschreibung des Lebens in Teheran vor vierzig Jahren und heute. Die politischen Veränderungen und auch das Leben der in Deutschland geborenen und hier aufgewachsenen Kinder von Exiliranern werden hier beschrieben und die Kunst der Shida Bazyar ist es, glaube ich, daß sie, dafür keine aufgesetzte Kunstsprache gebraucht, wie ich es beispielsweise in „Blauschmuck“ https://literaturgefluester.wordpress.com/2016/11/05/blauschmuck/empfand und damit meine Schwierigkeiten hatte, sondern eigentlich ganz schlicht und einfach erzählt, aber jedem ihrer Protagonisten in ihren vier Kapitel und den vier Jahrzehnten einen eigenen unverwechselbaren Sprachduktus gibt, so daß man sich all das wunderbar vorstellen und seine Fantasie spielen lassen kann!
xhttps://literaturgefluester.wordpress.com/2016/11/26/nachts-ist-es-leise-in-teheran/
LikeLike