Heinz Strunk – Der Goldene Handschuh

 

Ich kann mich noch gut erinnern. Dieser Name, Fritz Honka, das ist so ein Kindheitsding. Wie Baader und Meinhoff, wie Beckenbauer, Kuhlenkampf und Schleyer – Namen, die damals in den Siebzigern jeder kannte. Honka – das stand für pervers, für gemein und hässlich. So wurden bei uns im Dorf die Fieslinge, die Außenseiter bezeichnet. Wenn du ein Honka warst, dann hattest Du verloren.

Heinz Strunk erzählt in „Der goldene Handschuh“ die Geschichte gleich mehrerer Verlierer. Da ist Wilhelm Heinrich von Dohren, pubertierender Spross einer Hamburger Reederfamilie. Ein Sonderling, leicht behindert, unattraktiv, ungeliebt und von Akne entstellt. Dann kommt Karl von Lützow ins Spiel, Rechtsanwalt aus dem gleichen Hamburger Upper Class Umfeld – Einzelgänger, Misanthrop und Alkoholiker, der seinen Selbsthass in dominant-sexuellen Abenteuern kompensiert. Und nicht zuletzt die Hauptfigur: der Nachtwächter Fritz Honka, vierzig Jahre, klein, schmächtig, mit einem aufgrund eines Unfalls entstellten Gesicht und natürlich auch Alkoholiker.

Drei Männerschicksale, drei Verlierer, drei tickende Zeitbomben, die es immer wieder dahin treibt, wo es noch mehr von Ihnen gibt: in den „Goldenen Handschuh“ auf St. Pauli. In dieser Kaschemme sind sie alle zusammen. Zuhälter, Prostituierte, Obdachlose, Säufer, Junkies, die gesamte Halbwelt. Eine Armee der Gescheiterten, vereint an Herberts Tresen. Man kann noch so tief gefallen sein, dort trifft man garantiert jemanden, dem es noch dreckiger geht, der noch weniger zu verlieren hat und all das in noch mehr Fanta-Korn ertränkt. Und nicht nur Männer können so tief sinken, nein, in Puncto Elend und Verzweiflung waren Frauen schon immer gleichberechtigt.

Und wenn du gar nichts mehr hast, kein Zuhause, keine Hoffnung, nichts als eine Plastiktüte voller Habseligkeiten und einen nicht zu stillenden Durst auf Alk, dann gehst du für eine Flasche Korn wahrscheinlich überall mit hin. Auch mitten ins sichere Verderben – in diesem Fall Honkas stinkende Mansardenwohnung in Altona.

Heinz und Fritz – zwei Namen, die rein phonetisch schon eng beieinander liegen. Und in der Tat, der Autor kommt seinem Haupt-Protagonisten ziemlich nah. Man merkt, da kennt sich einer aus mit menschlichen Abgründen, mit Suff, mit Gewalt, mit dem Milieu am Hamburger Kiez. Egal ob im Handschuh oder in Honkas Mansarde, Strunks distanzierte Erzählperspektive ist dem Geschehen in jeder Form angemessen. Als Leser wird man mit reingenommen, kann das Setting geradezu riechen. Sprache, Stimmung, Spannungsbögen – alles passt perfekt zusammen. Insgesamt hat mich die Lesestimmung auf eine sehr angenehme Art an die Romane von Hans Fallada erinnert. Einerseits nüchterne Berichterstattung, dann wieder bewegende Introspektiven, fast schon poetische Einblicke in die Gedankenwelt der Protagonisten.

Der Goldene Handschuh liest sich locker und spannend und ist gekonnt komponiert. Obwohl die beiden anderen Verlierertypen nichts mit dem Fall Honka zu tun haben, macht es Sinn, dass sie dabei sind. Sie sorgen für Abwechslung, holen einen für ein paar Momente aus dem Kneipen- und Mansardenmief. Und zwar immer genau dann, wenn man die Intensität der Darstellung kaum noch ertragen kann. Strunk arbeitet mit Überblendungen, lockert die Handlung durch die unterschiedlichen Erzählstränge auf, ohne dass Intensität und Spannungsbogen verloren gehen.

Ich kannte Heinz Strunk bisher weder als Autor noch als Musiker. Auch sein Bestseller „Fleisch ist mein Gemüse“ ist mir nur vom Namen her ein Begriff. Was man so hört, soll sein bisheriges Werk eher humorig, seichte Unterhaltung sein. Aber dieser Roman ist es nicht. Heinz Strunk hat sich dem sensationsheischendem Thema auf eine sehr feinfühlige Art genähert und daraus ein literarisch beeindruckendes Werk geschaffen, das zurecht für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist. Ich kenne die anderen Romane auf der Shortlist nicht, aber wenn Heinz Strunk mit dem Goldenen Handschuh gewinnen sollte, wäre das für mich keine Überraschung – denn der Autor ist interessant und medientauglich und sein Buch ist einfach gut.

________

Foto: Gabriele Luger

Verlag: Rowohlt
255 Seiten, 19,99 €

 

Auf YouTube findet man eine spannende Dokumentation zu dem Fall.

Bildschirmfoto 2016-03-06 um 19.00.46

 

 

4 Kommentare

  1. Ich habe das Buch diese Woche ausgelesen und war auch sehr beeindruckt. Locker und gekonnt komponiert, wie du schön geschrieben hast. Und vor allem geschrieben in einer krass gnadenlosen Sprache, die mich stellenweise sehr aufgewühlt hat. Schade, dass es für den Buchpreis nicht gereicht hat…

    Like

Hinterlasse einen Kommentar