Sven Amtsberg – Superbuhei

 

Was kann man mehr von einem Buch erwarten, als dass es einen für ein paar Stunden aus dem Alltag reißt, mit Problemen konfrontiert, die nicht die eigenen sind, mit fremden Stimmungen, Gerüchen und Ängsten. Wer kennt nicht dieses tolle Gefühl, wenn man beim Lesen kurz innehält, aufblickt und sein eigenes Leben betrachtet. Wie friedlich, wie schön und wertvoll einem dann auf einmal alles erscheint. Wenn sich darüber hinaus noch die Protagonisten und das Setting eines Romans in die Träume schleichen, man morgens ein paar Sekunden braucht, um zu realisieren, dass man nicht in einem muffig riechenden Haus in Hannover-Langenhagen, sondern im eigenen, heimeligen Bett erwacht, dann, ja dann ist das Leseglück perfekt.

Eigentlich habe ich ja momentan überhaupt keine Zeit für irgendwelche Neuerscheinungen. Die Frühjahrs-Novitäten stapeln sich bei mir ungelesen im Regal und müssen warten, bis ich mit den Blogbuster-Manuskripten durch bin. Aber ich blättere zumindest mal rein, schau aufs Autorenfoto, lese den Klappentext, um ganz grob Bescheid zu wissen. Das tat ich auch bei diesem Buch – mit dem Resultat, dass ich es nicht mehr aus den Händen legen konnte. Die Story ist so skurril und dabei so trocken und auf den Punkt erzählt, dass es eine wahre Freude ist, sich in dieses miefige niedersächsische Setting fallen zu lassen.

Dabei landet man in einem Supermarkt in Hannover-Langenhagen, dem Superbuhei, wo Mona, eine solariumgebräunte Sitzschönheit, an der Kasse arbeitet. Bei den meisten Supermärkten findet man hinter den Kassen einen Bäcker. Im Superbuhei ist dort eine Kneipe, die so heißt, wie der wohl bekannteste Sohn der Stadt: Scorpions-Frontmann Klaus Meine. In dem wohl trostlosesten Ort auf Erden sitzen jeden Tag von 8:00 bis 18:00 Uhr ein paar Alkoholiker am Tresen und hören die immer gleichen Scorpions-CDs. Das ‚Klaus Meine‘ gehört Jesse, Monas Freund. Er ist der Sohn eines Elvis Imitators und mit seinem Zwillingsbruder Aaron in Hamburg Rahlstedt aufgewachsen. Nach dem Tod der Eltern fühlte er sich von Aaron bedroht und flüchtete vor dessen Nachstellungen nach Hannover.

Das klingt jetzt nicht besonders spannend, trotzdem hat mich der Roman begeistert. Amtsberg schafft es, trotz des skurrilen Settings, der schrägen Figuren und den Musikbezügen, keinen typischen PopLit-Roman abzuliefern, wie ich es zunächst erwartet hätte. Stattdessen entwickelt sich die Geschichte zu einem bedrückend intensiven Familienpsychogramm.

Da sind zunächst Jesses Eltern, ihre Träume und ihr Scheitern. Das verzweifelte Streben, irgendetwas Besonderes aus dem bisschen Lebenszeit zu machen. Doch es reichte nur für einen Imbisswagen, einen Glitzeranzug und zwei Jungs, die am gleichen Tag geboren wurden, an dem der King of Rock’n’Roll im fernen Memphis tot von der Toilette fiel. Auch der Wunsch des Vaters, der Geist von Elvis und vor allem sein Talent möge in die Rahlstedter Zwillinge fahren, ging nicht in Erfüllung. Stattdessen scheinen sie das Verlierer-Gen der Eltern geerbt zu haben.

Und so sitzt Jesse tagein, tagaus im Klaus Meine hinterm Tresen und blickt seinen volltrunkenen Stammgästen in ihr verlebtes Gesicht. Er weiß genau, sein Leben ist beinahe genauso trostlos wie ihres, aber es ist zumindest sein eigenes Leben. Eines, das er nicht mit seinem Bruder Aaron teilen muss, der ihn im Lauf der Zeit immer mehr kopierte, nachahmte und sich gegenüber Freunden sogar für ihn ausgab. Nach seiner Flucht aus Rahlstedt fühlte sich Jesse zunächst in Sicherheit. Doch er ahnt: Aaron ist ihm auf der Spur, vielleicht hat er ihn bereits gefunden.

Jesses Verfolgungs-Paranoia wächst, wird konkreter, nimmt immer mehr Raum ein. Er trinkt dagegen an, versucht zu verdrängen und auch der Sache nüchtern auf den Grund zu gehen. Aber nichts hilft; ihm fehlen die Beweise. Dennoch ist sich Jesse sicher, dass Aaron in der Nähe ist, vielleicht gerade in diesem Moment mit seiner Freundin Mona schläft, sein Leben Schritt für Schritt übernehmen will. Alles entwickelt sich zu einer am Ende wirklich super spannenden und bemerkenswerten Geschichte. Der relaxte Erzählton und der zurückhaltende, niedersächsische Humor bilden einen interessanten Kontrast zu der sich bedrohlich entwickelnden Szenerie, den tiefschürfenden Tresengedanken und der Tragik gescheiterter Lebensentwürfe.

Gewidmet ist dieser sehr empfehlenswerte Debütroman doch tatsächlich dem kleinen großen Sohn von Hannover-Langenhagen. Klaus Meine ist zwar kein Elvis, hat kaum noch Haare und kann nicht tanzen, doch dafür kann er wunderbar pfeifen. Der Autor tut das zwar nicht, aber wer will, könnte daraus ableiten, dass es oft die kleinen Dinge sind, die Großes bewirken. Wie auch bei diesem Buch: kleiner Verlag, große Entdeckung.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
315 Seiten, 24,00 €

2 Kommentare

  1. Das klingt sehr gut. Ich hatte sofort eine entsprechend verqualmte niedersächsische Kneipe mit lauter beigen Menschen drin vor meinem inneren Auge. Und krieg jetzt die Pfeiferei nicht aus dem Ohr.

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