Ijoma Mangold – Das deutsche Krokodil

Das hier sollte eigentlich eine ganz besondere Besprechung über ein ganz besonderes Buch werden. Ich hatte mir vorgenommen, zu Ehren des Autors nicht ein einziges Mal das Wort „Ich“ zu verwenden. Eine seriöse Rezension sollte es diesmal werden, eine intensive Auseinandersetzung mit dem vorliegenden Werk, eventuell sogar mit Diskussion der zeithistorischen Bezüge und einer Würdigung des literarischen Potenzials.

Aber bereits beim zweiten Satz musste ich passen. Ohne mein Lieblings-Personalpronomen war ich aufgeschmissen, stand wie der sprichwörtliche Ochs vorm Berg und wusste nicht weiter. Immer wieder schrieb ich Sätze, die sich leer und fremd anhörten, als wären sie nicht von mir. Sätze wie man sie aus diesen verkopften Angeber-Rezensionen im Feuilleton kennt, die viel behaupten aber letztlich nichts anderes beweisen wollen, als dass der Schreiber der Zeilen der mit Abstand brillanteste Kopf des Kulturbetriebes ist. Ja, Sätze wie sie Ijoma Mangold und seine Kollegen ablassen, wenn sie über Bücher schreiben.

„Hirnwichse“ sag ich dazu. Das kommt mir nicht auf den Blog. Hier ist kein Platz fürs Schweben in kulturwissenschaftlichen Sphären. Das ist anstrengend und macht keinen Spaß. Hier wird Klartext geredet und – wie es sich für einen Blog gehört – schön persönlich mit ganz viel Ich. Da mache ich auch bei dem Buch von Mr. Feuilleton höchstpersönlich, oder wie es auf dem Backcover steht: dem „schwarzen Reich-Ranicki“, keine Ausnahme.

Man könnte jetzt meinen, dass ich den Autor von „Das Deutsche Krokodil“ nicht besonders mag. Das wäre auch nicht weiter verwunderlich, denn es ist ein offenes Geheimnis, dass Ijoma Mangold auch keine Literaturblogger mag. Und Sympathie, das habe ich in meinem Leben gelernt, beruht nunmal auf Gegenseitigkeit. Oft genug habe ich auf irgendwelchen Buchmesse-Partys geringschätzige Blicke von ihm und seinen Feuilleton-Buddies kassieren müssen.

Heute, nachdem ich seine Geschichte gelesen habe, weiß ich, dass das nichts mit mir zu tun hat. Schon der jugendliche Ijoma hat auf dem Gymnasium mit seinem Gefolge in der Raucherecke gestanden und andere arrogant und abschätzig angeschaut. Der guckt nun mal so. Wenn man seine Lebensgeschichte betrachtet, weiß man auch warum er das tut. Ein bisschen Selbstschutz, die obligatorische Flucht nach vorne und natürlich der Stolz auf das, was ihn von den meisten Menschen unterscheidet: ein Verstand, der etwas wacher ist, eine besondere Empfindsamkeit für Sprache und das Talent, sich ausgesprochen elaboriert zu artikulieren.

Aber die intellektuelle Überlegenheit ist nicht das Einzige, was ihn von anderen unterscheidet. Da ist noch was anderes, etwas viel profaneres; das, was jeder, der ihm seit seiner Geburt begegnet ist, als unausgesprochene Frage stets im Hinterkopf hat. Die Frage nach seiner Herkunft. Darauf zu antworten: „Ich komme aus Dossenheim bei Heidelberg“, wäre zwar richtig, aber nicht das, was gemeint ist. Die Leute interessiert etwas ganz anderes. Sie wollen wissen, wo der Vorname herkommt, warum die Haare so kraus sind und seine Haut so dunkel.

Und genau darum geht es in diesem Buch, das keine Autobiografie sein will, sondern von Mangold als „meine Geschichte“ bezeichnet wird. Es geht um dieses Hautfarbe-Ding, das ein in Deutschland geborenes Kind einer Deutschen und eines Nigerianers ein ganzes Leben begleitet. Etwas, was immer da ist, das sich nicht ablegen lässt und auch einen der angesehensten deutschen Literaturkritiker nicht vor der Frage schützt, warum er denn so gut deutsch sprechen kann.

Mangold nimmt seine Leser mit ins Heidelberg der siebziger und achtziger Jahre, zeigt uns wie er aufgewachsen ist, mit einer prägenden Mutter und einem abwesenden Vater, der zum Medizinstudium nach Heidelberg kam, danach wieder nach Afrika zurückkehrte und nichts weiter zurückließ als ein Baby mit dunkler Hautfarbe und einem fremd klingenden Vornamen. Dank seiner großartigen Mutter fehlt es dem Jungen aber an nichts. Neben Liebe und Fürsorge bekommt er von ihr all das, was ein Kind braucht, um zu einer starken Persönlichkeit zu reifen. Mangold weiß, dass es sein großes Glück war, eine so starke und unkonventionelle Mutter gehabt zu haben. Sie ist daher auch die eigentliche Heldin dieser Geschichte. Von Seite zu Seite ist sie mir mehr ans Herz gewachsen und ihr Tod hat mich beim Lesen schmerzhaft berührt.

Dass er später im Leben seinen Vater doch noch kennenlernt, in Nigeria wie ein verlorener Sohn aufgenommen wird und auf einmal Geschwister sowie unzählige Cousins und Cousinen hat, die ihn bedingungslos lieben – geschenkt. Das kommt alles viel zu spät, hat keinen prägenden Einfluss mehr, kann das, was sein Leben ist, nur noch bereichern, aber nicht mehr verändern.

Ich habe die Lektüre dieses Buches sehr genossen. An ganz vielen Stellen entdeckte ich Parallelen zu meinem Leben – Situationen, die Menschen mit Migrationshintergrund auf die eine oder andere Weise schon erlebt haben. Ich kenne diese immerwährende Angst, nicht als Deutscher betrachtet zu werden, nicht dazuzugehören, im Prinzip nirgendwo richtig daheim zu sein; ich kenne die Strategien, die man dagegen entwickelt, die Flucht in die Literatur und den Trost, der sich daraus speist. Natürlich lässt Mangold in seinen Aufzeichnungen nicht komplett die Hosen runter. Man erfährt nichts Intimes oder Kompromittierendes. Das Bild des distinguierten Literaturkritikers wird zu keiner Zeit beschädigt. Trotzdem ist das hier keine verkopfte Intellektuellen-Prosa, kein „Schaut-her-was-ich-für-ein-schlaues-Kerlchen-bin“, sondern ein ehrliches, authentisches und sich locker lesendes Zeugnis.

Wer sich von diesem Buch Einblicke in den Literaturbetrieb erhofft, wird enttäuscht sein. Mangolds beruflicher Werdegang, der Aufstieg in den Elfenbeinturm des Kulturbetriebes wird nur am Rande gestreift. Wer aber wissen will, wie sich ein Deutscher fühlt, der mit 16 Jahren schon Thomas Mann gelesen und Richard Wagner gehört hat, deutscher denkt und deutscher fühlt als die meisten von uns, aber beim Bäcker um die Ecke immer noch mit Simpel-Deutsch angesprochen wird, der darf sich dieses Buch nicht entgehen lassen.

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Foto: Gabriele Luger
Verlag: Rowohlt
352 Seiten, 19,95 €

 

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