Alexa Hennig von Lange – Kampfsterne

Kinder, eine eigene Familie, ein schönes Haus mit Garten und netten Nachbarn. Wer träumt nicht davon? Sehr viele tun das. Und das obwohl sie immer wieder hören, dass es nicht immer so idyllisch und harmonisch ist, wie man es sich in seiner Unerfahrenheit ausgemalt hat, dass es wahrlich kein Zuckerschlecken ist, dass es sogar manchmal ziemlich schlimm sein kann. Ja, man hört und liest so manches. Kann passieren, ja, durchaus – aber doch nicht bei mir. Nicht wir beide. Wir werden es allen zeigen, machen alles anders, alles besser, alles schön.

Menschen denken so, weil sie nicht anders können. Es ist ihnen angeboren, das zu denken, genau das zu wollen. Und das ist gut so. Denn würden sie das nicht tun, dann hätten wir alle keine Zukunft. Dann würde keiner mehr etwas anders, besser oder schön machen. Und ohne diese sich wider alle Vernunft ständig selbst nährende Hoffnung wäre alles aus. Kein Einfamilienhaus, keine gepflegten Gärten, keine SUVs in Garageneinfahrten, keine Nachbarn, die schon wieder in den Urlaub fahren. Nichts.

In ihrem ersten Nicht-Jugendbuch seit langer Zeit führt Alexa Hennig von Lange ihre Leser genau in diese Welt. In eine dieser klassischen Neubau-Siedlungen am Rande der Stadt, mit schicken Häusern, in denen schicke Menschen wohnen, die alles irgendwann mal auch anders, besser und schöner machen wollten. Bis sie irgendwann einsehen mussten, dass sich so eine Immobilienfinanzierung nicht von alleine trägt, dass man Karriere entweder ganz oder gar nicht und nicht nur ein bisschen machen kann, dass mit dem zweiten Kind die Probleme nicht abnehmen, sondern sich verdoppeln, dass man plötzlich weniger Sex hat, als ein verpickelter Teenager und man irgendwann realisiert, dass nichts auch nur annähernd anders, besser, geschweige denn schöner ist, als das was sie nie wollten.

Das ist das Setting, in dem Rita und Ulla mit Ihren Männern und den Kindern Johannes, Klara und Lexchen wohnen. Erzählt wird aus der Ich-Perspektive des jeweiligen Kapitel-Protagonisten, was den Lesefluss immer wieder unterbricht. Es hat etwas gedauert, bis ich die Kinder und Männer den jeweiligen Müttern zuordnen konnte. Daher hat das Buch auch erst spät Fahrt aufgenommen, was ich aber gerne in Kauf genommen habe, da es sprachlich wirklich überzeugend ist und immer wieder mit Passagen aufwartet, die einen zustimmend nicken und schmunzeln lassen.

Man merkt, dass Alexa Hennig von Lange, die Ende der 90er-Jahre zusammen mit Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad Barre und Judith Herrmann zu den erfolgreichsten deutschen Pop-Literaten zählte, weiß wovon sie schreibt. Mit mittlerweile fünf eigenen Kindern sollte sie das auch. Die wilden Zeiten, von denen ihr 1997 erschienener Debütroman „Relax“ handelt, sind genauso Vergangenheit wie die jungen Jahre ihrer Protagonistinnen Ulla und Rita. Die eine, eine talentierte und vielversprechende Architektin, die andere…, ja was? Ich habe es vergessen. Wahrscheinlich jung und hübsch und voller Tatendrang. Und dann landen beide mit Kind und Kegel in dieser Siedlung. Und plötzlich ist die Welt eine andere, fokussiert und zielgerichtet aber gleichzeitig auch eng und beklemmend. Die Kinder, das Haus und die Nachbarn, die das alles kritisch betrachten, vergleichen, bewerten. So wie es auch Ulla und Rita machen, so wie es alle machen, die sie kennen.

Was in dieser Siedlung passiert, ist nicht wirklich außergewöhnlich. Mitten durch die Reihen schicker Einfamilienhäuser mit gepflegten Gärten läuft auch hier der „Boulevard Of Broken Dreams“. Man blickt auf makellose Putzfassaden, hinter denen sich die üblichen kleinen und großen Familiendramen abspielen. Die üblichen Probleme mit Pubertierenden, jüngeren Geschwistern, die nebenher laufen, häuslicher Gewalt, junger Liebe, außerehelichen Begehrlichkeiten und sogar einer Vergewaltigung.

Der permanente Wechsel des Betrachtungswinkels von Figur zu Figur relativiert die Geschehnisse in einigen Punkten, lässt das Szenario aber nicht weniger bedrohlich erscheinen. Am Ende schüttelt der junge Leser wahrscheinlich nur noch den Kopf, um für sich zu beschließen, es später einmal ganz anders, besser und schöner zu machen. Und der ältere Leser denkt, dass er es im Vergleich zu Rita und Ulla ja noch ganz gut hinbekommen hat, mit den Kindern, der Familie, dem schönen Haus und den Nachbarn. Und so kann und wird es ewig weitergehen. Immer wieder und immer wieder neu.

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Foto: Gabriele Luger

Verlag: Dumont
224 Seiten, 20,00 Euro

 

 

 

 

 

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