Judith Hermann- Letti Park

 

Urlaubsgebräunt und mit hochgesteckten Haaren blickt sie in die Kamera. Auf ihrem neuesten Klapperfoto sieht sie erholt und gleichzeitig müde aus. Sie wirkt irgendwie reifer auf mich, ladylike. Aus dem Fräuleinwunder ist eine gestandene Frau geworden, aus dem gehypten Star der Nullerjahre, eine etablierte Größe im Literaturbetrieb.

Wie nervig muss es sein, wenn man immer wieder mit sich selbst verglichen wird. Mit etwas, was man damals einfach mal so rausgehauen hat.Früher, als alles noch unbeschwert und leicht war, noch ohne die Bürde eines zur Hälfte gelebten Lebens. Wie enttäuschend muss es sein, wenn die Begeisterung bei einem neuen Werk ausbleibt, obwohl man eigentlich viel besser geworden ist. Wenn alles als selbstverständlich erachtet wird – dass man schreiben, mit Sprache spielen, Stimmungsbilder schaffen kann. Wenn nicht mehr auf die 95 Prozent geschaut werden, die gut sind, sondern auf die fünf Prozent, die nicht so ganz so gut sind – beileibe nicht schlecht, ohne Frage besser als viele andere Autoren, aber eben auch nicht so gut, wie man es eigentlich von einer Judith Hermann gewohnt ist. Ganz ehrlich? Bei all dem Blödsinn, der schon über sie geschrieben wurde, würde ich auch nur noch müde in die Kamera lächeln.

Ich will daher gar nicht weiter darauf eingehen, dass auch ich ein großer Judith Hermann-Fan der ersten Stunde bin, dass die „…Gespenster“ und das „Sommerhaus…“ zu meinen Lebenslieblingsbüchern zählen, dass ich mit ihrem dritten Erzählband Alice so gar nichts anfangen konnte, mit ihrem ersten Roman aber umso mehr und dass ich natürlich mit einer sehr, sehr großen Erwartungshaltung ihr neuestes Buch „Letti Park“ aufgeschlagen habe.

Und gleich bei den ersten beiden Geschichten dieses Erzählbandes dachte ich: Was ist das denn? Wo ist die Story, wann geht es endlich los, das kann doch noch nicht alles gewesen sein? Ich nenne mal ein Beispiel: Das Setting der zweiten Geschichte namens „Fetisch“ führt den Leser zu einem Platz mit einer Gruppe Zirkuswagen, irgendwo in der Nähe eines Flusses. Ein Junge setzt sich zu einer Frau ans Lagerfeuer. Sie unterhalten sich, er holt ein Foto, zeigt es ihr und wirft es anschließend ins Feuer. Sie schauen sich an, dann verschwindet er wieder. Ende.

Ich habe diese Geschichte zweimal gelesen, weil ich wissen wollte, ob mir beim ersten Durchgang irgendetwas entgangen ist. Ein wichtiges Detail; etwas, das dieser Geschichte einen Sinn verleiht, rechtfertigt, dass sie überhaupt geschrieben, gedruckt und von mir gelesen wurde. Aber nein, der Plot ist so wie er ist. Übersehen habe ich hierbei nichts, doch beim erneuten Lesen ist mir etwas ganz anderes aufgefallen. Nämlich, wie schön das alles geschrieben ist und wie intensiv diese Stimmung am Lagerfeuer rüberkommt, wie kunstvoll Judith Hermanns Bandwurmsätze sind, die einem aber gar nicht so lang vorkommen, weil sie Rhythmus und Drive haben.

Und auf einmal war ich drin in ihren Geschichten, hatte Spaß daran, las mir selber laut vor und war am Ende traurig, dass es nur insgesamt 17 Erzählungen sind. Alles leise, zurückhaltende Einblicke und Spotlights auf Dinge, die sich eigentlich nicht aufzuschreiben lohnen. Alltägliches, Begegnungen, Zwischenmenschliches, das stinknormale Leben in seiner ganzen traurigen Schönheit eingefangen. Ich habe versucht, meiner Frau von diesen Geschichten zu erzählen, doch es gelang mir nicht. Dafür passiert zu wenig, was man erzählen kann. Denn es sind Stimmungsbilder, es ist eine Melodie, die beim Lesen im Kopf erklingt, Assoziationen, die nur ich so habe. Das kann man nicht erzählen, das muss man selber gelesen haben.

Judith Hermanns Prosa hat etwas Lyrisches. Da hat sich jemand Gedanken gemacht, nicht einfach drauflos geschrieben, sondern sich hineinversetzt, die richtigen Worte liebevoll ausgewählt, arrangiert und anschließend zu kunstvollen Stimmungsbildern verdichtet. Ja, ich hatte beim Lesen tatsächlich das Gefühl, hier wirkliche Kunst zu genießen. Das sind nicht einfach nur Geschichten, wie sie jeder von uns schreiben könnte, das ist wahre erzählerische Dichtkunst, die nur eine etablierte Größe im Literaturbetrieb mit so einer unbeschwerten Leichtigkeit zu Papier bringen kann.

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Titelfoto: Gabriele Luger

Verlag: S. Fischer
187 Seiten, 18,99

4 Kommentare

      1. sorry wollte dich nicht verwirren, du hattest einen kleinen süßen Typo (Klapperfoto statt Klappenfoto) und der wenig gelungene Witz bezog sich auf den hoffentlich nicht bestehenden Zusammenhang zu ihrem Gewicht) Ignorier mich und den Kommentar einfach, hatte zuviel Sonne …
        Liebe Grüße 🙂

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      2. Ach so – verstehe. Ich war unsicher, ob das jetzt Klappenfoto oder Klapperfoto heisst. Es gibt ja den Umschlagklapper und ich glaube das Wort kommt daher. Bin mir aber nicht sicher.

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