Judith Hermann – Aller Liebe Anfang.
Ich gebe zu – ich war ein wenig kritisch. Nicht, weil Frau Hermann jetzt endlich einen Roman geschrieben hat, sondern immer noch wegen Alice. Der letzte Erzählband hat mir nämlich, im Gegensatz zu den beiden davor, so gar nicht gefallen. Entsprechend abwartend bin ich in das aktuelle Werk eingestiegen. Und schon beim Aufschlagen fiel meinem nach Schwachstellen ausschauenden Kritikerauge das dicke Papier auf, die großzügige Formatierung und Typo. Hat da vielleicht der Verlag etwas nachgeholfen und aus einer etwas längeren Erzählung mit ein paar verlegerischen Tricks einen Roman gemacht?
Kann schon sein, aber letztlich geht es ja nicht um Quantität, sondern um literarische Qualität. Und hier hat mich Judith Hermann bereits nach wenigen Seiten wieder überzeugt. Die Alice-Pleite ist vergessen und ich bin wieder voll dabei. Lass mich von den fein konstruierten Sätzen entführen. In eine Vorortsiedlung, die ihre besten Tage hinter sich hat. In ein Zuhause, das bedroht wird. In Wohnungen für die letzten Tage im Leben. In Alltags-Rituale von gesunden und kranken Menschen.
Hermann gelingt es, den Leser mitzunehmen. Durch feine Beschreibungen – nicht zu viel und nicht zu wenig. Durch Einblicke ins Seelenleben, kurze Rückblenden und Imaginationen. Es geht um Stalking und man spürt von Seite zu Seite das Ansteigen der Bedrohung. Für die kurze Zeit der Lektüre ist man an allen Orten des Romans mit dabei. Schaut aus dem Fenster und sieht den Stalker an der Gartenpforte stehen. Und freut sich, wenn er endlich die gerechte Strafe bekommt.
Mir hat es Spaß gemacht. Ich hab die Lektüre genossen. Und auch wenn es nur ein kleiner Roman ist – die Autorin hat mir wieder mal bewiesen, dass sie eine ganz Große ist.
Gelesen: September 2014
Foto: Gabriele Luger
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